Mein Freitag

Die Tanne bleibt noch ein wenig länger stehen diesmal

Wenn es so klirrekalt ist, darf Weihnachten noch länger nachhallen.

Die Gehsteige sind schneeweiß, es ist das Salz, das sich in den Asphalt hineingefroren hat. (Und in die Schuhe.) So sieht es noch kälter aus, als es ist. Die Nadelspuren führen zur nächsten Christbaumabgabestelle, viele liegen noch nicht dort. Wenn es winterlich ist, darf Weihnachten noch länger nachhallen.

Den Baum vom Schmuck zu befreien zwingt einen zur Ruhe. Es dauert seine Zeit. Irgendwo versteckt sich immer noch ein Anhänger oder baumelt ein leeres Stanniolpapier. Spuren des unbekannten Schokoladenplünderers. Noch ein wenig Glanz für den abgeräumten Baum, der einem ein schlechtes Gewissen macht. Zu wenig beachtet und die Kerzen haben nur einmal gebrannt. Als ob es die Tanne kümmern würde.

Das haben die Eltern auch gesagt, früher: „Niemand schaut sich den Baum an.“ Dann haben wir Geschwister uns hingestellt und den Baum angeschaut. So, bitte sehr, erledigt. Als Kind macht man viele Sachen nicht genug und kann es nicht verstehen. Man freut sich nicht genug, zum Beispiel. Danach wird freuen nie mehr etwas ganz ohne Beigeschmack. Nur wenige können sich ausgelassen freuen, Juhuu und Jippie schreien. Einige freuen sich ganz still. Und manche freuen sich über gar nichts.

Als Kind putzt man nicht lang genug die Zähne. Und man lernt ganz sicher nicht genug (es gibt Ausnahmen). Vor allem nicht im ersten Halbjahr, das ist ja so etwas wie der Vorspann zum Hauptfilm. Der ist dann erstaunlich kurz und nicht immer gibt es ein Happy End. Entweder isst man nicht genug oder schläft nicht genug oder macht das genaue Gegenteil. Man fährt auf jeden Fall nicht genug mit dem Karussell und plötzlich interessiert es einen nicht mehr.

Und dann steht man erwachsen vor dem dürren Baum und gesteht sich ein, dass es immer nur darum geht, dass die Zeit so schnell vergeht.

E-Mails an: friederike.leibl-buerger@diepresse.com

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