Zeichen der Zeit

Nennen Sie mich nicht Hemingway!

Der Stier stirbt ohne Schweigen und wird aus der Arena geschleift, während sich der Matador feiern lässt und der nächste Stier kommt.
Der Stier stirbt ohne Schweigen und wird aus der Arena geschleift, während sich der Matador feiern lässt und der nächste Stier kommt. Foto: Konstantin Arnold
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Man sucht und sucht, trinkt eins in Sodom, eins in Gomorrha, und eine Straße weiter liegt das Glück oder sitzt in Form eines alten Malers an der Bar. Wir fühlen uns zu alten Männern hingezogen, weil sie all den Wahnsinn überlebt haben, den wir in uns tragen. Über eine Nacht in Madrid, die
in einem Brunnen endete.

September, Flughafen Madrid. Die Maschine natürlich verspätet. Bin durch den Wind. Stand vor ein paar Stunden noch in einem Brunnen am Paseo del Prado, und danach sind wir barfuß ins Ritz. Vorher hatten wir einen alten Maler kennengelernt, im Chicote an der Gran Via. Ein guter Laden, mit einer Vergangenheit, die heute keinen mehr interessiert, bis auf alte Maler und uns, mich und meinen besten Freund, einen Münchner Regisseur, mit dem ich unterwegs war.

Eine von Hemingways besten Geschichten spielt im Chicote und eine meiner schlechtesten, weil sie von schönsten Momenten in meinem Leben erzählt. Der Bürgerkrieg war in den 1930ern die Straße runter. Man konnte ihn hören, sehen, riechen, schmecken, egal, in welcher Bar man war. Morgens brachten die Frauen ihre Männer mit einem Lunchpaket an die Front, abends waren sie tot oder kehrten heim oder gingen noch auf ein Glas ins Chicote. Dort war dann der Teufel los. Es war die beste Bar Spaniens und deshalb auch die beste der Welt. Wer jemand war, kam ins Chicote, und wer jemand sein wollte, kam ins Chicote, und wer jemand war und in Ruhe gelassen werden wollte, kam auch und ließ das Leben auf der Gran Via vorbeiziehen. Hollywood traf hier Madrid. Perico Chicote mit Grace Kelly, mit Penélope Cruz, mit Hemingway, mit Ava Gardner sowieso. Dazu all die Stierkämpfer, tadellos und androgyn, von einer moralischen Aura umgeben. Nach ihnen kommt erst mal nichts. Sie tragen pechschwarzes Haar und Kreuze am Hals und ficken mit Flamencotänzerinnen. Mit Fans, die wochenlang auf Saufen und Rauchen verzichten, um sich die teuren Tickets zu leisten. Manche von denen sitzen heute noch um die Plaza de Santa Ana, als hätte sie die Zeit vergessen. Man erliegt den Stierkämpfern einfach, wie auch Picasso ihnen erlag, Cocteau, Orson Wells. Am meisten Frank Sinatra, als er von Luis Miguel Dominguin, diesem Stierkampf-Casanova, umgehauen wurde, weil beide zur gleichen Zeit was von der Gardner wollten, die im Nachtleben eines faschistischen Spaniens fröhlich ihre Juwelen verlor.

Heute ist das Chicote ein Touristenladen

Eine Zeit, sagte der alte Maler, in der das Land noch das Land und das Meer noch das Meer und Spanien noch Spanien gewesen ist. Schönheit kam von innen, und die Wahrheiten waren einfach, und die Menschen lebten nach Stierkampfkalendern, Sardinenschwärmen, Jahreszeiten. Heute ist das Chicote ein Touristenladen. Ich erzählte dem Maler, dass unsere Nacht bisher nicht sehr gut verlaufen wäre, weil einen die Leute vor den Clubs mit Prostituierten locken, das ist schlimm in Madrid. Sie verkaufen gefälschte Kippen an ihre eigenen Leute und geben die Wut ihrer Vorgesetzten an uns weiter. Der Alte meinte, das liege daran, dass man in Spanien nie eine klare Grenze zum Faschismus gezogen habe. Das eine ging einfach ins andere über. Man kann die Zeit nicht zurückdrehen, nicht mal, wenn man durch die Drehtür des Chicote geht, aber die Bar ist immer noch rot, was schon mal gut ist. In der Mitte stehen Stühle und Tische, die man zur Seite schieben kann, wenn man tanzen möchte. Der Kellner kam und brachte eine letzte Runde, und ich fragte, für wen das Extraglas Schaumwein sei, und der Alte meinte, für seine Frau. Die wäre tot, aber er akzeptiere das nicht und bestelle alles doppelt. Das gab uns den Rest.

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