Gastkommentar

Depardieus Verteidiger offenbaren uralte Abgründe

Gerard Depardieu, am 27. Dezember 75 Jahre alt geworden, sorgt in seiner Heimat seit Wochen für Debatten.
Gerard Depardieu, am 27. Dezember 75 Jahre alt geworden, sorgt in seiner Heimat seit Wochen für Debatten. APA/AFP/Patricia De Melo Moreira
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In Frankreich ist Gérard Depardieu beinahe so ikonisch wie Wein und Käse. Dass er dort viele Verteidiger hat, überrascht kaum. Schockierend ist, dass sich auch im deutschsprachigen Raum renommierte Journalisten finden, die den Schauspieler verteidigen. Obwohl dieser seine sexuellen Fantasien sogar vor laufender Kamera ausplaudert.

In einem viel beachteten Interview hat Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, jüngst den Schauspieler Gérard Depardieu (75) leidenschaftlich verteidigt. Er wittert eine „Menschenjagd“ auf den bekannten Darsteller und betont: „Wir sind alle stolz auf Depardieu.“ Die Diskussion um dessen übergriffige Art, die durch einen kürzlich erschienenen Kurzfilm angefacht wurde, bringt auch im deutschsprachigen Raum Abgründe zutage, die man lieber überwunden gewusst hätte: Jan Küvelers dystopisch anmutender Kommentar „Gut, dass wenigstens Macron Depardieu verteidigt“ (22. 12. 2023) lässt die informierte Leserin sprach- und fassungslos zurück.

Der Chefkorrespondent der deutschen Zeitung „Die Welt“ bedauert, es sei „rückgratlos“ gewesen, Depardieus Figur aus dem Pariser Wachsfigurenkabinett zu entfernen. Ein Machtwort Macrons war „fällig“, Vorverurteilungen seien nämlich „schmählich“.

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Depardieus unappetitliches Benehmen – er hat etwa vor über hundert Mitreisenden in einem Flugzeug uriniert – ist nicht nur seit Jahrzehnten bekannt, es ist geradezu sein Markenzeichen geworden, das bis vor Kurzem schulterzuckend akzeptiert wurde. Der Mann, der dazu steht, regelmäßig und viel Alkohol zu trinken, und gegen den es mittlerweile drei Anklagen wegen Vergewaltigung gibt, ist in Frankreich beinahe so ikonisch wie Wein und Käse.

„Zu viele, um sie zu zählen“

Ob Depardieu 2018 die junge Tänzerin Charlotte Arnould vergewaltigt hat, kann nur gemutmaßt werden – es steht Aussage gegen Aussage. Dass ihm mittlerweile 15 Frauen sexuellen Missbrauch vorwerfen und dass diese Anschuldigungen größtenteils durch Zeugenaussagen gedeckt werden, lässt ihn nicht besser aussehen. Abgesehen davon reichen seine öffentliche Auftritte, um zu ahnen, dass man als weibliches Wesen lieber bei drei auf den Bäumen ist, wenn Depardieu auf einen zurollt.

1978 und 1991 hat er in Interviews angegeben, Vergewaltigungen verübt zu haben, „schon zu viele, um sie zu zählen“. 1991 fügte er noch hinzu, das sei gar nichts Besonderes, das sei „sogar ganz normal“. Zahlreiche in der Filmindustrie Tätige berichten, dass ein extrem sexualisiertes Arbeitsklima und ein Grapscher hier und da bei Depardieu die Norm sei, und das seit Jahrzehnten.

So aufschlussreich wie schockierend sind auch die kürzlich veröffentlichten Videos, die von Depardieus Freund und Bewunderer Yann Moix 2018 auf einer Nordkorea-Reise des Idols angefertigt wurden, um anschließend einen Dokumentarfilm zu produzieren. Obwohl rund 18 Stunden Filmmaterial gesammelt wurden, bringt Moix wegen Depardieus nicht enden wollenden Anzüglichkeiten nicht einmal einen 50-minütigen Kurzfilm zustande. (Kurzer Einschub: Der ursprünglich geplante Dokumentarfilm konnte wegen Depardieus Verhalte nicht erscheinen. Die Ausschnitte, die im Dezember auf France 2 zu sehen waren, waren aus dem Rohmaterial zur nie erschienenen Doku „The Fall of an Ogre“, übersetzt so etwas wie „Der Fall eines Wüterichs“, die jenes Team veröffentlicht hatte, das zuvor einen Film über die Missbrauchsvorwürfe gemacht hatte).

„Ich bin ein großer Jäger“

Immer wieder benutzt dieser das französische Wort für „Pussy“ und stöhnt, wenn er mit Frauen spricht. Die Dolmetscherin, die ihn auf der Reise begleitet, ist seinen Belästigungen permanent ausgesetzt. Einmal fordert Depardieu seine Begleiter auf, ein Foto zu machen, während er „ihren Arsch in der Hand hat“. Gleich geht er noch weiter: „Ihre kleine Pussy, die muss gut behaart und buschig sein. (Stöhnt) Sie riecht schon nach Stute.“

Ein andermal verkündet er, nachdem er von der Waage steigt, dass er 124 Kilo habe, und geht auf die zierliche Frau zu. Sie weicht zurück, bis sie mit dem Rücken zur Wand steht. „Mit meiner Erektion 126“, fügt er hinzu und betatscht sie, buchstäblich in die Ecke gedrängt, im Brustbereich. Als Depardieu sich später zu ihr ins Auto beugt und bemerkt, dass ihr Kleid offen ist und dass man fast ihren kleinen Slip sieht, sagt sie, dass sie das nicht mag, dass sie nicht gern so viel Aufmerksamkeit bekommt. Depardieu lacht: „Ich sehe alles, was nicht bemerkt werden will. Ich bin ein großer Jäger. Da hast du wohl Pech gehabt mit mir, ah!“

Besondere Aufregung erweckte eine Szene, in der Depardieu ein höchstens zehnjähriges Kind auf einem Pony sieht. „Wenn sie galoppiert, kommt es ihr sicher. Gut so, meine Kleine, mach weiter so!“, hechelt das Schwergewicht. Dann dreht er sich zu seiner Dolmetscherin um. „Reiten würde dir auch guttun!“, sagt er und macht grunzende Geräusche.

Gut, dass Jan Küveler uns darüber aufklärt, dass es sich hier um eine Mischung aus „geschmacklosen Bemerkungen“ und missverstandenen Späßen einer künstlerischen Frohnatur der alten Schule handelt. Sonst hätte man glatt glauben können, dass Depardieu ein übergriffiger Serientäter bar jeglicher Selbstkontrolle und ohne irgendeinen Sinn für die persönliche Würde seiner Mitmenschen ist. Denn, o weh! „Was 1974 als gelungener Scherz durchgegangen wäre, trifft heute auf einen [prüden] Zeitgeist“, klagt Küveler.

Feministisches Trauerspiel

Spaß beiseite. Kaum zu glauben, dass das überhaupt ausgesprochen werden muss, aber auch in den 70er-Jahren fanden es nicht alle Frauen lustig, begrapscht zu werden, selbst wenn sie verschämt lachten. Wenige Frauen wünschen sich zurück in eine Zeit, in der sexuelle Belästigung als „Scherz“ abgetan und Protest dagegen als „prüde“ betrachtet wurde. Dass renommierte Journalisten wie Jan Küveler lieber den alten Mann, der nicht fassen kann, dass die Welt nicht mehr sein persönlicher Obstkorb ist, verteidigen, ist ein schockierendes feministisches Trauerspiel. 

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die Autorin

Ella Semrad (*2001 in Korneuburg) studiert derzeit Internationale Beziehungen am Institut d’études poli­tiques (Sciences Po) in Straßburg.

Privat

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