Wissenschaft

Unabhängigkeit bedroht? Mäzen Jan Philipp Reemtsma schließt renommiertes Sozialforschungs-Institut

Der deutsche Wissenschaftler und Publizist verkündet aus Sorge um die „eigene Agenda“ das Aus für sein Hamburger Institut. Es machte nicht nur durch die Wehrmachtsausstellung Furore.

Wer Mitte der Neunziger in Österreich Zeitung las, wurde hineingezogen in den Streit um die Wehrmachtsausstellung. Als Wanderausstellung in Deutschland und Österreich gezeigt, präsentierte sie Dokumente und Fotos zur Gewalt durch Wehrmachtsangehörige in der NS-Zeit, um das Bild von der „sauberen“ Wehrmacht zu widerlegen. Nach massiver öffentlicher Kritik und der Feststellung von Ungenauigkeiten durch eine Historikerkommission wurde die Ausstellung zurückgezogen und durch eine ab 2001 gezeigte Neuversion ersetzt. Sie blieb als erinnerungspolitischer Markstein in Erinnerung.

Hinter der Wehrmachtsausstellung standen ein Mäzen und sein Institut. Der Mäzen hieß Jan Philipp Reemtsma und geriet damals durch eine weitere Affäre in die Schlagzeilen: seine Entführung 1996 durch einen deutschen Kriminellen und seine Mittäter. Nach einer Zahlung von damals umgerechnet 30 Millionen DM Lösegeld wurde er wieder freigelassen.

Spektakulär ist aber auch, was der heute 71-Jährige als Mäzen für die sozialwissenschaftliche und zeitgeschichtliche Forschung tat. Das Geld dafür kam durch den Verkauf seiner ererbten Anteile an den Reemtsma Cigarettenfabriken, die ihre Blütezeit (unter Leitung seines Vaters und Onkels) nicht zuletzt intensiver Kollaboration mit dem NS-Regime verdankten. 1984 gründete Reemtsma mit dem Verkaufserlös das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS). Frei von ökonomischen und bürokratischen Zwängen, akademischen Trends und Gängelungen sollte hier Forschung in der Tradition der Kritischen Theorie ermöglicht werden, wobei ein Schwerpunkt auf Gewaltforschung lag und bis heute liegt. Damit schuf Reemtsma, der auch selbst publizistisch als Literaturhistoriker und Sozialwissenschaftler glänzte, eine der wichtigsten deutschen Forschungsstätten.

Will kein „beliebiges Institut“

Doch jetzt droht ihr Ende: Reemtsma, der seit Jahren nur noch den Etat bespricht und genehmigt, sieht sich aus Altersgründen auch dazu nicht mehr in der Lage. Das Institut müsste von einer anderen Organisation übernommen werden, was ihm, meint Reemtsma, die Unabhängigkeit und Eigenart nehmen würde. Es könnte nicht mehr „seine eigene Agenda schreiben“. Und da es „es nicht die Intention des Stifters war noch ist, ein beliebiges sozialwissenschaftliches Institut unter der Leitung oder Observanz irgendeiner anderen Forschungseinrichtung zu gründen“, hat Reemtsma die Schließung für 2028 angekündigt.

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