EU-Kulturhauptstadt Salzkammergut

Barrie Kosky: „Ich verarbeite jetzt mein Wien-Trauma“

„Balsam für die Seele“: Kosky über das Operetten-Inszenieren in diesen Zeiten.
„Balsam für die Seele“: Kosky über das Operetten-Inszenieren in diesen Zeiten.Jan Windszus
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Barrie Kosky über seine Kult-Inszenierung „Eine Frau, die weiß, was sie will“, die Ischl wieder zur Operetten-Metropole machen soll.

Die Presse: Ihre Berliner Inszenierung von Oscar Straus’ Operette „Eine Frau, die weiß, was sie will“ eröffnet am Samstag die EU-Kulturhauptstadt Salzkammergut in Bad Ischl. Straus war emigriert und ist in Ischl begraben. Die Stadt schwelgt in Erinnerungen an die Monarchie und ihre Vergangenheit als ehemalige Operetten-Metropole. Ist das für Sie aus Berliner Sicht fremdes Terrain?

Barrie Kosky: Absolut. Wien hält sich für die Hauptstadt der Operette, aber dass das Genre hier viele Jahrzehnte lang sehr harmlos auf die Bühne gebracht wurde, hat schon auch mit der mangelnden Aufarbeitung der Nazizeit in Kultur und Politik zu tun. Da lauern unter dem Teppich noch einige Dämonen. Es hätte sich schon vor Jahrzehnten gelohnt, wenn etwa die Volksoper einmal ihre historischen Operettenschätze gründlich durchgeackert hätte – abseits von „Fledermaus“, „Lustiger Witwe“ und den paar bekannten anderen. Wir haben da an der Komischen Oper in Berlin etwas bewirkt, man denkt dort heute anders über Operette als zuvor und ich glaube, Lotte de Beer versucht das jetzt auch für Wien zu leisten, „Lass uns die Welt vergessen“ ist ein enorm wichtiger Beitrag.

Fritzi Massarys Aufnahme von „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“, der berühmtesten Nummer in „Eine Frau, die weiß, was sie will“, ist ein ewiges Vorbild der Vortragskunst. Zugleich hat es 1932 schon Nazi-Sprechchöre gegen sie und das Stück gegeben. Wie gehen Sie als Regisseur mit so etwas um?

Ich habe an der Komischen Oper acht Operetten der Weimarer Republik inszeniert und dabei immer eine Regel befolgt: Niemals die Künstlerschicksale mitinszenieren, keine Nazis, keine KZs, keine Exilgeschichten! Natürlich habe ich enormes historisches Interesse daran, als Künstler wie als Jude, aber: Wir können den Stücken, ihren Schöpfern und Interpreten nichts Schlimmeres antun, als sie zu Geschichtsunterricht umzufunktionieren. Man darf diese Werke nicht als „jüdische Kultur“ präsentieren, sondern muss sie als unser aller deutsche Kultur zeigen! Vielleicht würde ich als deutscher Regisseur anders denken, als Australier will ich diese Stücke im Geist ihrer Entstehungszeit auf die Bühne bringen und zeigen, warum sie Meisterstücke ihres Genres sind. Die beste Antwort auf die Nazi-Gräuel ist ein volles, jubelndes Haus.

Zwei Personen spielen in Ihrer Inszenierung alle Rollen – was war vorher da, die Idee oder die Besetzung?

Irgendwie passierte es gleichzeitig. 2014/15 hatten wir an der Komischen Oper Schönbergs „Moses und Aron“ geplant, vor diesem Stück mit enormem Aufwand brauchten wir etwas völlig anderes, Kleines im Spielplan. Meine unangefochtene Heldin des Genres in den Goldenen Zwanzigern ist Fritzi Massary. Sie hat 1932 die Uraufführung der „Frau“ gesungen – im Metropol-Theater, dem Vorgänger der Komischen Oper! Ich hörte die Theatergötter geradezu danach rufen, diese musikalische Boulevardkomödie auf diese Bühne zurückzubringen. Und ich traute Max Hopp und Dagmar Manzel zu, alle Rollen zu übernehmen, Dagmar ist eine der besten Allroundkünstlerinnen im deutschsprachigen Raum. In nur vier Wochen Probenzeit haben wir das Stück auf eine schräge Vaudeville-Farce eingekocht. Wir wollten es ursprünglich nur vier Mal spielen, doch dann wurde die Produktion zum Kult.

Sie haben Dagmar Manzel hervorgehoben, aber es gibt in diesem Genre nicht mehr derartige Stars wie früher. Warum?

Von Offenbach bis 1933 saßen die Operettenkomponisten nicht in ihrem Elfenbeinturm über einer Partitur und haben dann erst überlegt, wer das singen könnte, sondern schrieben von vornherein für ganz bestimmte Leute. Hortense Schneider war der Motor von Offenbachs Erfolgen, dabei hatte die nur einen mickrigen Stimmumfang: Es kam auf die gesamte Bühnenerscheinung an! Später haben die Massary, Gitta Alpár, Max Hansen, Richard Tauber die Komponisten inspiriert. Die Stücke entstanden für die Besetzung – so wie am Broadway für Ethel Merman oder Fred Astaire. Heute erwartet niemand mehr ein neues Stück für einen bestimmten Star. Deshalb sagte ich in Berlin, wir müssen die modernen Entsprechungen dieser Leute finden. In Dagmar Manzel und Max Hopp lebt dieser Geist heute weiter. Wir brauchen aber auch eine Originalklangbewegung der Operette: zurück zur Partitur, zur Originalfassung, zum nicht opernhaften Stil. Und zu mehr Tempo auch in den Dialogen.

Sie waren am Wiener Schauspielhaus erfolgreich, 2005 aber haben die Missfallensbekundungen nach ihrem „Lohengrin“ an der Staatsoper zu einer Art Wientrauma geführt. Seit 2021 bringen Sie hier Mozarts Da-Ponte-Opern neu heraus, hat der „Don Giovanni“ Ihre Wien-Wunde geheilt?

„Don Giovanni“ ist sicher das schwerste der drei Stücke, ich kämpfe immer noch damit. Mein Wientrauma hatte mit einem Geist in der Stadt zu tun, der sich in den letzten 20 Jahren verändert hat, es ist viel offener und freier geworden. Davor erlebte ich noch ein altes, verklemmtes, düsteres Wien, das zu meiner Seele in völligem Widerspruch stand. Nun bin ich froh, dass ich durch das gute Verhältnis zu Bogdan Roščić dieses Trauma verarbeiten kann. Im Juni hat „Così“ Premiere, und wenn ich in zweieinhalb Jahren für ein weiteres Projekt zurückkomme, sind die Schatten der Vergangenheit wohl schon vergessen. Zumal auch die österreichische Küche zehnmal besser ist als die deutsche.

Vielleicht aber fühlen Sie derzeit stärker als sonst Schatten auf ihre Arbeit fallen?

Stimmt, wenn ich um neun Uhr beim Frühstück von der Ukraine, von Gaza und anderen Ländern lese, wie kann ich um zehn Uhr Operette inszenieren? Zumal ich zufällig gerade die „Fledermaus“ in München herausgebracht habe und in Zürich an der „Lustigen Witwe“ arbeite. Aber diese Werke bieten ein paar Stunden Befreiung von der Dunkelheit. Das ist ein großes Privileg. Schon die alten Griechen wussten, dass man das Publikum nicht mit den großen Tragödien nach Hause schicken konnte, sondern am Ende das heitere Satyrspiel nötig war. Es ist unsere Pflicht als Künstler, die Menschen nicht nur mit Problemen zu konfrontieren, sondern ihnen auch Balsam für die Seele zu bieten.

Viele Häuser gerade in Deutschland leiden trotzdem unter Publikumsschwund.

Es gibt nach Corona Probleme, aber ich bin Optimist. Die heilige Pflicht des Theaters ist es, das Gegenteil von Social Media, Film und Fernsehen zu sein. Das Artifizielle und die symbolische Traumwelt des Theaters müssen wir hochhalten. Drei Stunden mit anderen Menschen im Dunkeln zu sitzen und Menschen auf der Bühne zu erleben ist ein Urritual, so wichtig wie Essen und Trinken.

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