Soziologie

Blick hinter die Statistik: Auch viele Frauen in Beziehungen sind armutsgefährdet

Bei knapp der Hälfte der Mütter reicht das eigene Geld nicht aus, sich vor Armut zu schützen.
Bei knapp der Hälfte der Mütter reicht das eigene Geld nicht aus, sich vor Armut zu schützen.APA / Wolfram Steinberg
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Herkömmliche statistische Methoden schätzen das Armutsrisiko von Frauen in Österreich viel niedriger ein, als es tatsächlich ist. Bittere Erkenntnis: Kinderlosigkeit schützt besser vor Armut als Bildung.

Mit Definitionen ist es so eine Sache. Mit Vergleichen auch. Regelmäßig sorgen die Armutsstatistik und die Debatte darüber, wie viele Menschen in ­Österreich in „wirklich“ prekären Umständen leben, für politisch befeuertes Hickhack. Laut EU-Erhebungen gelten hierzulande jedenfalls rund 14,8 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet. Die Schwelle dafür liegt bei Einkünften im Ein-Personen-Haushalt bei 1392 Euro monatlich (zwölf Mal jährlich). Für Haushalte mit zwei Elternteilen und zwei Kindern sind es 2924 ­Euro. 

Was diese Statistik nicht verrät, ist das individuelle Armutsrisiko von Menschen, die auf Haushaltsebene gleichberechtigt betrachtet werden. Dieses ist für Frauen bedeutend höher als für Männer, wie neue wissenschaftliche Ansätze zeigen. Am Donnerstag präsentierte das Wissenschaftsnetz Diskurs zwei Studien dazu, die sich mit Frauen in Hetero-Beziehungen und in unterschiedlichen Arbeitsmarktsituationen beschäftigen. Ihr Fazit: Die finanzielle Abhängigkeit vom Partner ist bei vielen, gerade wenn es Kinder gibt, enorm.

Risiko ungleich verteilt

„Würden alle Frauen von heute auf morgen ohne Partner sein, wäre ein Drittel von ihnen armutsgefährdet“, formuliert es die Sozialwissenschaftlerin Katrin Gasior überspitzt. Alimente und Sozialstaat ­außen vor gelassen. Sie betont, dass auch innerhalb der Haushalte das verfügbare Geld nicht immer in gleichen Teilen oder überhaupt geteilt wird. An der University of Essex (Großbritannien) hat die gebürtige Österreicherin mit Kolleginnen ­Mikrosimulationsmodelle zur Berechnung des individuellen Armutsrisikos entwickelt.

Ihr zufolge sind 52 Prozent aller inaktiven Frauen, fast 60 Prozent aller Frauen, die weniger als 20 Stunden pro Woche arbeiten, und 28 Prozent aller Frauen in Teilzeit mit 20 bis 23 Wochenstunden individuell armutsgefährdet. Auch Frauen in Vollzeitbeschäftigung sind nicht automatisch vor prekären Lebensbedingungen gefeit: Jede Zehnte bezieht ein Nettoeinkommen unter dem Schwellenwert („Working Poor“). Ebenfalls betroffen: 48 Prozent der selbstständigen Frauen. Dem Sozialstaat gelinge es nicht, das individuelle Risiko für Frauen zu reduzieren, kritisiert Gasior mit Verweis u. a. auf unbezahlte Sorgearbeit und die hohe Steuerlast von Niedrigverdienerinnen. 

Bildung ändert wenig

Die verschiedenen Perspektiven – Haushaltsebene oder individuell – versteht Christina Siegert vom Institut für Soziologie der Uni Wien nicht in Konkurrenz stehend, sondern als wertvolle Ergänzung des Diskurses. Sie hat die Situation in heterosexuellen Paarhaushalten beleuchtet: „Die meisten sehen das vorhandene Geld als gemeinsame Ressource, aber die längerfristigen ökonomischen Risiken trägt man allein.“ Stichwort: Altersarmut. Bei Trennungen wird das Thema früher schlagend – und ist im Kontext von Partnergewalt zusätzlich problematisch.

Haben Paare ohne Kinder eine Armutsgefährdungsquote von sechs Prozent, beträgt diese für ­Eltern 13 Prozent. „Hier sieht man auf Haushaltsebene weniger Geschlechterunterschiede, sondern vor allem Bildungsunterschiede“, sagt Siegert. „Das individuelle Armutsrisiko von Männern ist jedoch nicht höher als neun Prozent, unabhängig vom formalen Bildungsgrad oder ob man Vater ist.“ Anders schaut es bei Frauen aus: Bei knapp der Hälfte der Mütter (selbst unter hoch gebildeten sind es 42 Prozent) reicht das eigene Geld nicht aus, sich vor Armut zu schützen.

In Zahlen

32 Prozent der Frauen sind indivi­duell armutsgefährdet (Männer: 15 %).

11 Prozent der Frauen in Vollzeit gelten als Working Poor (Männer: 6 %).

50 Prozent der Mütter haben zu wenig Geld, um sich vor Armut zu schützen.

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