Auf ihre Gleise wollte sich niemand kleben

Kohle-Railjet: Dampflok 214.10 am Gelände des Westbahnhofes, zwischen 1936 und 1940.
Kohle-Railjet: Dampflok 214.10 am Gelände des Westbahnhofes, zwischen 1936 und 1940.TMW-Archiv
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Strom oder Kohle? Das besonders eindrucksvolle Exemplar einer Wiener Dampflokomotive erzählt die Geschichte eines frühen Wettstreits um nachhaltigen Antrieb. Klimasorgen waren noch kein Motiv – dabei wären sie nicht ganz unberechtigt gewesen.

Die Gleise für die Elektrifizierung waren im Grunde längst gelegt. Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts war dem Schienenverkehr der Strom eingeschossen, zunächst in den Städten. Österreich-Premiere, 1883: die Lokalbahn Mödling–Hinterbrühl (50 Jahre später stillgelegt, seither Revier der Dieselbusse). So wurde auch die Straßenbahn in Wien in den 1890er-Jahren von Dampf- auf Elektroantrieb umgestellt; vergelt’s Gott, eine Rußschleuder weniger in einer Stadt, die sich im Winter mit Holz und Kohle warmhielt.

Im alpinen Bereich wurden neue Strecken von vornherein für den elektrischen Betrieb konzipiert. Bei den vorliegenden Höhenprofilen war Elektrotraktion im Vorteil, und den Strom lieferten Wasserkraftwerke nah an der Trasse.

Mit dem Krieg und dem Untergang der Monarchie erhielt der Umstieg erhöhte Dringlichkeit. Die verbliebene kleine Republik war von den einstigen Kohlerevieren des Kaiserreichs abgeschnitten, Kohle war plötzlich teuer und musste mit Devisen gekauft werden, die man gar nicht hatte. 1919 wurde die Elektrifizierung des Schienennetzes quasi dekretiert. Sie versprach Autarkie und Unabhängigkeit von Energieimporten – Wasserkraft hatte man ja im Land.

In den Bergen war der diesbezügliche Fortschritt schon weit gediehen. Arlberg- und Stubaitalbahn, Brenner- und Mittenwaldbahn und viele andere – bis Mitte der 1920er war vom Westen bis nach Salzburg die Elektrifizierung so gut wie abgeschlossen.

Umweg ins Museum

Die wichtigste Magistrale des Landes war aber noch nicht so weit: Die Strecke zwischen Salzburg und Wien, das logische nächste Projekt der Transformation, das es in Angriff zu nehmen galt. Nur dass es anders kam – und die Dampflok auf ihrem Weg ins Museum einen längeren Umweg nahm.

Einen gewichtigen Zeitzeugen dieses Backlash aus der Zwischenkriegszeit kann man im Wiener Technischen Museum besichtigen: die Dampflokomotive 10.12 – ganze 22 Meter lang und mit 138 Tonnen Gesamtgewicht das schwers­te Exponat des Hauses. Und ein echtes Wienerkind: gebaut 1936 in der Lokomotivfabrik Floridsdorf. Und obwohl sie die größte, stärkste und schnellste Lok war, die je in Österreich gebaut wurde, war sie doch schon ziemlich spät dran gewesen.

TMW-Kustos Thomas Winkler, zuständig für den Sammlungsbereich Verkehr, erläutert die Gründe, warum der Staat im europaweiten Fieber der Elektrifizierung doch noch einmal Dampf machte.

Kohlelobby

Die Angelegenheit muss man sich als den großen verkehrspolitischen Aufreger seiner Tage vorstellen. Wie konnte ein künftiger Strombetrieb zwischen Wien und Salzburg überhaupt in Zweifel gezogen werden? Es gab jedenfalls Argumente dagegen, die in Stellung gebracht wurden.

Zum einen der doch beträchtliche Aufwand für einen grundlegenden Systemwechsel. Denn so relativ einfach wie bei einer Straßenbahn in der Stadt lässt sich eine Langstrecke nicht elektrifizieren. Der für die Motoren gut verträgliche Gleichstrom wäre dafür ungeeignet, weil die Leitungsverluste auf langer Distanz zu groß sind. Es braucht hohe Spannung, mithin zahlreiche Transformatoren auf der Strecke, natürlich ein Oberleitungsnetz, die Kraftwerke für den Strom und dann natürlich auch noch neue E-Loks.

Rauchende Schlote

Hohe Investitionen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – in denen auch noch die Kohlepreise gerade niedrig waren. Selbstredend hatten auch Lobbyisten aus der Kohlebranche ihr Wort in der erhitzten Debatte, die ungefähr zwei Jahre lang geführt wurde. Jedermann zwischen Wien und Salzburg hatte dazu eine Meinung, eine Position, bis das Machtwort in der Hauptstadt gesprochen wurde: Wir lassen nochmals die Schlote rauchen.

Mit den alten Triebwagen, die sich im Land noch abschufteten, war das aber nicht denkbar. Aus den von ihnen geschleppten Garnituren hatte man schon zu Sissis Zeiten gewunken (die Westbahnstrecke hieß historisch Kaiserin-Elisabeth-Bahn). Es mussten neue Loks her, so leistungsfähig, dass sie Schnellzüge auf der Strecke mit gleichem Tempo bewegen können würden wie elektrische Triebwagen.

Um die genau spezifizierte Ausschreibung Mitte der 1920er ritterten zwei Unternehmen: die Floridsdorfer und die Wiener Neustädter Lokomotivfabrik, jeweils ein Prototyp entstand. Die Niederösterreicher, Marktführer zu Zeiten der k. u. k. Monarchie, zeigten einen technisch besonders anspruchsvollen Dreizylinder-Antrieb (zwei Zylinder wie üblich außen, einer mittig).

Prunkstück der Sammlung: Dampflok 12.10 im Technischen Museum. Die Leitbleche an der Flanke boten dem Personal etwas Windschutz.
Prunkstück der Sammlung: Dampflok 12.10 im Technischen Museum. Die Leitbleche an der Flanke boten dem Personal etwas Windschutz. Gerhard Sedlaczek/Technisches Museum Wien

Ob es der erhöhte Wartungsaufwand des schwer zugänglichen dritten Zylinders war – das Rennen machten jedenfalls die Floridsdorfer mit ihrer 214, wie die Serie heißen sollte. Eine Dampflok der Superlative, die alles bisherige in Österreich übertraf und auch international die eine oder andere Rekordmarke setzte, etwa mit der Länge ihrer Schubstangen (jenes bei Dampfloks markante, außenliegende Bauteil, das die Stampfbewegung des Zylinders direkt in die Drehbewegung der Räder überträgt – bei voller Fahrt in rasender Geschwindigkeit).

Bis 1932 waren die ersten acht Exemplare ausgeliefert, bis 1936 die fünf Stück der zweiten Serie, aus der auch das ausgestellte und zugleich letzte verbliebene Exemplar stammt, die 12.10. Zugelassen auf 120 km/h, fuhr sie in Versuchsfahrten 154 km/h schnell. Mit ihr betrug die Fahrzeit Wien–Salzburg (auf der teilweise anders als heute geführten Trasse) nun viereinhalb Stunden, zu früher war eine ganze Stunde gewonnen (anderswo fuhr man schneller: in Deutschland, England längst 160 km/h; in Österreich mit seinen Höhenprofilen war Leistung vorrangig).

Um den 1800 PS starken Koloss zu verstehen, erzählt uns TMW-Kustos Winkler über das Personal im zugigen Führerstand, das ihn bediente: Zugführer und Heizer, dieser aus Sicherheitsgründen doppelt besetzt, alle staatlich geprüft (auch Winkler selbst hat die Heizerprüfung absolviert). Denn der Job war nicht blindes Schaufeln, das auch, aber vor allem das achtsame Bei-Laune-Halten einer brisanten Apparatur.

Der sogenannte Führerstand: Lokführer und, im Fall der 12.10, zwei Heizer an der Arbeit. In Linz wurde die ganze Crew ausgetauscht, wurden Wasser und Kohle im Tender nachgefüllt.
Der sogenannte Führerstand: Lokführer und, im Fall der 12.10, zwei Heizer an der Arbeit. In Linz wurde die ganze Crew ausgetauscht, wurden Wasser und Kohle im Tender nachgefüllt. Sedlaczek/TMW

In der zimmergroßen, mit 400 Bolzen gesicherten Feuerbuchse brennt die hineingeschaufelte Kohle (im Schnitt 26 Kilogramm pro Minute, vier Tonnen von Wien bis Linz!), dabei erhitzen die Rauchgase in Wasser gelagerte Rohre – Dampf entsteht, der über Rohre geleitet und über Ventile gesteuert die Kolben in den außenliegenden Zylindern antreibt. Druck im Kessel: 15 bar, ein Autoreifen hat 2,5 bar. Wie tonnenweise Kohle wurde auch das Wasser im Tender hinter dem Triebwagen mitgeführt – fast 30.000 Liter, die schon in Linz nachgefüllt werden mussten.

Dass eine Lok wie die 12.10 unglaublich robust gebaut und auf mindestens 30 Jahre Betriebszeit ausgelegt war, verhinderte nicht ihr frühes Ende. Von der bald nach dem Krieg doch noch elektrifizierten Westbahn abgezogen, wurde sie nach einem kurzen Auftritt auf der Südstrecke, für die sie nicht geschaffen war, 1956 ausrangiert. Dampfloks verkehrten in Österreich übrigens bis 1976, die letzten im Weinviertel.

Aus heutiger Sicht hätte unsere Lok wohl Klimaschützer auf den Plan rufen müssen. Während ihrer 20-jährigen Arbeitszeit verfeuerte sie 24.000 Tonnen Kohle, CO2-Emissionen bei 120 km/h: 73 Kilogramm CO2 – pro Minute.

Verdampft

1800 PS Leistung hatte die Dampflok 12.10. Dabei wurden pro Minute 26 kg Kohle verfeuert. Die heutigen Taurus-E-Loks leisten bis 16.000 PS.

138 Tonnen wiegt das Exemplar der 12.10 im Technischen Museum Wien. Jahrzehnte auf der Freifläche vor dem Haus gestanden, wurde es aufwendig renoviert und ist heute in der großen Halle zu bewundern.

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