Wenn es um Asylfragen geht, werden die europäischen Grenzen flexibel verrückt – wahlweise nach außen, etwa nach Tunesien, aber ebenso nach innen, aufs griechische, italienische oder spanische Festland.
Es hängt freilich von eigenen biografischen Erfahrungen ab. Doch mehrheitlich assoziiert man hierzulande mit Staatsgrenzen vermutlich die gezeichnete Abgrenzung von Ländern im Atlas. „Unsere Auffassung von Grenzen ist sehr kartografisch“, sagt auch Bilgin Ayata. „Wir wissen zwar aus der Geschichte, dass sie sich verändern und verschieben, dass neue Staaten gegründet werden oder Imperien aufbrechen, wenn es Kriege gibt. Nichtsdestotrotz ist unsere Vorstellung von Grenzen als fixen Linien eine sehr verfestigte Annahme, die wir schon seit zwei Jahrhunderten haben.“
Ayata ist Politische Soziologin und forscht am Zentrum für Südosteuropastudien der Uni Graz. Sie leitet das Projekt „Elastic Borders“, in dem genau diese Vorstellung von Grenzen infrage gestellt wird.
Inseln als Pufferzone
Ziel ist es, die theoretische Grundlage für ein aktualisiertes Konzept von Grenzen anhand von empirischen Fallstudien und analog zum physikalischen Prinzip der Elastizität (aufgrund von Druck verformt sich Material vorübergehend) zu erarbeiten und Erklärungen dafür zu geben. „Das Phänomen ist nicht neu“, erklärt die Forscherin. „Auch früher waren Grenzen dynamisch, aber drei Prozesse – Digitalisierung, Globalisierung und Politik der Versicherheitlichung (dabei wird ein Sachverhalt als Sicherheitsproblem wahrgenommen; Anm.) – haben zu einer sehr starken geografischen Flexibilität bei Grenzpraktiken geführt.“