Gastkommentar

Der Macht die Wahrheit sagen

Politik und Wissenschaft vertragen sich selten. In Zeiten von Krisen, Kriegen und KI müssen sie einander vertrauen.

Erstens: Auf einfache Fragen kann es einfache Antworten geben. Zweitens kann man es sich nicht aussuchen, wem man Rede und Antwort stehen muss. Und wenn das halt dann auch noch die Trump-MAGA-Republikanerin Elise Stefanik (selbst eine Harvard-Absolventin) in einer parlamentarischen Anhörung ist, kann es schon eng werden. Die kürzlich zurückgetretene Harvard-Präsidentin Claudine Gay weiß das jetzt. Die einen jubeln, andere sind empört. Es ist der offenbar als ganz normal hingenommene Wahnsinn einer Schmitt’schen Freund-Feind-Polarisierung.

Dem Grunde nach ist das alles nichts Neues. Es war immer schon so, dass sich Politik und Wissenschaft selten vertragen. Und es wäre eine Berufsverfehlung, würden diejenigen, die Politik betreiben, nicht nach größtmöglicher Macht streben. Zweifellos wäre gleiches der Fall, sollte die Wissenschaft aufhören, kompromisslos die Wahrheit über Natur und Kultur ermitteln zu wollen.

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Vom Wesen und Wert her sind Politik und Wissenschaft grundverschieden. Und natürlich kracht es auch immer wieder im Gebälk. Als etwa der renommierte deutsch-amerikanische Jurist und Politologe Hans J. Morgenthau (1904–1980) anfing, von seinem Lehrstuhl aus und mit Tintenpatronen bewaffnet, den Vietnam-Krieg zu kritisieren, hat man ihm das FBI und die Finanz auf den Hals gehetzt. Er hat standgehalten.

Vier Möglichkeiten

Heute wie eh und je gibt es für die Wissenschaft im Kampf zwischen Macht und Wahrheit vier Möglichkeiten: zurückziehen, attackieren, kooperieren, aufgeben. Man kann unschöne Begegnungen vermeiden, wenn man sich in den Elfenbeinturm zurückzieht, hoffend, dass alles gut ausgehen wird. Morgenthau war hiezu klar. Enttäuscht war er von der Frankfurter Schule, dass selbst dann noch über Marx-Passagen gestritten wurde, als die Nazis schon vor den Toren standen.

Ähnlich verhält es sich, wenn man die Suche nach der Wahrheit aufgeben würde, sich einer neuen politischen Realität fügt, der Talar zur Tarnung eines ideologischen Wolfes im Schafspelz missbraucht wird.

Die Macht attackieren muss man wollen, können und durchhalten. Professor Morgenthau hat diesen Weg gewählt. Ob es gescheit ist und dem Anliegen dienlich, vom Präsidenten- und Pentagon-Berater zur Persona non grata zu werden, steht freilich auf einem anderen Blatt: Eine Nebenrolle mag besser sein als gar keine. Bleibt dann also kooperieren im Sinne von wissenschaftlicher Politikberatung im jeweiligen Fachgebiet.

Das mag vielleicht nicht immer intellektuelle Reinheit oder exakte Ergebnisse liefern – die es bei politischen Fragen, also Macht- und Wertefragen, ohnehin nicht gibt –, aber man hat zumindest die Möglichkeit, die Welt besser zu machen.

Gemeinsam statt einsam

Ob es überhaupt Aufgabe der Wissenschaft ist, menschliches Zusammenleben zu verbessern, ist eine zentrale Frage der Wissenschaftstheorie. Moralisch ist die Frage einfach zu beantworten: Demokratie und Wissenschaft sind, wie Hans Kelsen einmal sagte, Freunde. Sie streiten mitunter heftig, aber sie laufen im Gleichschritt, in kritischer Distanz zueinander, gegen den Glauben an das Absolute und gegen die Autokratie.

Damit sich die Demokratie gegen ihre Feinde erfolgreich wehren kann, müssen Politik und Wissenschaft einander aushalten. Machtstreben ist per se genauso wenig böse, wie das Streben nach Wahrheit kein subversiver Akt ist. Wirklich gefährlich sind alle antidemokratischen Kräfte.

Robert Schütt (*1979) ist Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft.

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