Gastkommentar

Nachhaltigkeit wird zum Knochenjob für Europas Unternehmen

Anna Vetter, zertifizierte ESG-Managerin.
Anna Vetter, zertifizierte ESG-Managerin.Alexander Chitsazan
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Die verpflichtenden neuen Nachhaltigkeitsreportings haben nichts mehr mit dem glatten Marketingprodukt „CSR-Bericht“ zu tun.

Bis 2050 will die EU Klimaneutralität erreichen. Der Weg dorthin ist der sogenannte Green Deal, der nicht nur die EU-Staaten, sondern auch die europäischen und in Europa tätigen Unternehmen in der Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels an Bord holt. Sie sollen als weltweit tätige Emittenten von Treibhausgasen ihren Beitrag zur Erfüllung des Pariser Klimaschutzabkommens leisten. 

Als Mittel dazu haben Kommission und Parlament neue gesetzliche Transparenzanforderungen an Unternehmen formuliert, die weitreichend sind: Große Unternehmen ab 50 Millionen Euro Umsatz und/oder 250 Mitarbeitern – andere Unternehmen folgen zeitlich gestaffelt je nach Bilanzsumme, Umsatz und Mitarbeiterzahl – müssen seit Beginn dieses Jahres eine umfangreiche „nicht finanzielle Berichterstattung“ leisten, die ab nächstem Jahr zusammen mit dem Lagebericht veröffentlicht wird.

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Auf Basis der Corporate Sus­tainability Reporting Directive (CSRD) liefern große Unternehmen nun ab dem 1. Jänner 2024 einen Blick hinter die Kulissen, der nicht ohne ist: Sie müssen vollen Einblick in den Umfang ihres Wasser-, Energie- und Bodenverbrauchs gewähren und den direkten und indirekten Einfluss auf die Biodiversität, die Verfasstheit des unternehmenseigenen Antikorruptionsbekämpfungssystems, den Grad der von den Unternehmensaktivitäten betroffenen Communitys und vieles mehr dokumentieren. Sehr viel mehr. Denn die neue gesetzlich vorgeschriebene Nachhaltigkeitsberichterstattung hat nichts mehr mit dem glänzenden Marketingprodukt „CSR-Bericht“ der vergangenen Jahrzehnte zu tun, sondern ist ein Kompendium aus Hunderten Daten.

Die Idee des europäischen Gesetzgebers: durch „erzwungene“ Transparenz die Unternehmen dazu zu bewegen, ökologische, soziale und ethische Risiken im eigenen Tun zu erkennen, zu begegnen und so zum Umweltschutz beizutragen. Entscheidend ist das künftig auch für die Finanzierung von Unternehmen. Auf den Fluren der Brüsseler Institutionen ist man überzeugt, dass der Regulierung der Markt folgen werde und Investoren ihr Geld lieber in Unternehmen anlegen, die ein möglichst geringes Umwelt- und Reputationsrisiko darstellen.

Komplexe Lieferkettensorgfalt

Aus derselben Denkschule stammt die neue europäische „Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie“, die Ende 2023 vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde und noch einer formalen Bestätigung durch den Europäischen Rat bedarf. Diese scheint die FDP als Teil der deutschen Regierung jetzt nicht gewillt sein zu erteilen. Sie argumentiert mit einem zu hohen Dokumentationsaufwand und nicht zu meisternden bürokratischen Hürden vor allem für den Mittelstand, der indirekt als Teil der globalen Lieferketten ebenfalls von der neuen Regularik betroffen sein wird. Diese Kritik ist nicht neu. Was steckt also hinter der umkämpften Richtlinie?

Unternehmen, die in der EU tätig sind  – zunächst jene mit mehr als 150 Million Jahresumsatz und 500 Mitarbeitern –, werden dazu verpflichtet, zu überprüfen, auszuschließen und zu dokumentieren, dass kein Lieferant in der gesamten Lieferkette Umweltstandards verletzt oder Menschenrechtsverletzungen begeht. Das klingt erst einmal wie ein No-na-ist-doch-nicht-schlecht-Argument. Bei genauerer Betrachtung ist es komplizierter, denn die Anforderungen des neuen Lieferkettengesetzes basieren in seiner jetzigen Ausformung auf eine Vielzahl von Übereinkommen: Kon­kret haften europäische Unter­nehmen nun für die Umsetzung von 22 Menschenrechtskonventionen, sieben Umweltkonventionen und den Klimaschutzplan in ihrer gesamten Lieferkette – also auch bei den Lieferanten ihrer Lieferanten der Lieferanten etc.

Angesichts eklatanter Menschenrechtsverletzungen etwa im asiatischen Textilfertigungsbereich ist es begrüßenswert, dass etwa die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisa­tion ILO verpflichtend zu befolgen wären. Bei Nichtbefolgung drohen Unternehmen Strafzahlungen von bis zu fünf Prozent ihres weltweiten Nettoumsatzes. Auch eine zivilrechtliche Haftung der Geschäftsführung ist in Planung. 

Angesichts der Breite des Anwendungsbereichs stellt sich allerdings die Frage, ob Brüssel mit der Privatisierung von zwischenstaatlichen Konventionen den europäischen Unternehmen nicht tatsächlich zu viel zumutet: Ob ein europäisches Unternehmen mit Produktionsstätten in Pakistan dort „Gewissens- und Religionsfreiheit“ wird garantieren können oder für die Durchsetzung von Rechtssicherheit sowie Meinungsfreiheit in China wird haften können, ist fraglich.

Für den Schutz der Arbeitnehmer im Globalen Süden und den Schutz der Ressourcen und des Klimas bei gleichzeitiger Förderung europäischer Wettbewerbsfähigkeit wäre es ideal, würde sich im finalen Entwurf der Lieferkettensorgfaltspflichtenrichtlinie ein pragmatischer Ansatz durchsetzen. Denn der zur neuen Regelung mitgelieferte Merksatz „Was in Europa gilt, soll in der globalen Lieferkette gelten“ ist für europäische Unternehmen mit Produktionsstandorten außerhalb Europas kaum umsetzbar.

Aber gleich, wie die konkrete Ausformung der Lieferkettenrichtlinie schlussendlich nun aussehen wird – fix ist, dass die neuen Transparenzgebote im Bereich der ökologischen, sozialen und ethischen Nachhaltigkeit für europäische Unternehmen gekommen sind, um zu bleiben. Sich dieser neuen Realität zu stellen wird Unternehmen nicht erspart bleiben.

Die Autorin:

Mag. Anna Vetter (*1982) arbeitet im Spannungsfeld zwischen Politik und Wirtschaft. Sie ist Managing Partner beim Strategie- und Krisenberatungsunternehmen Vetter & Partner und zertifizierte ESG-Managerin. 

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