Archäologie

100 Jahre Nofretete in der Öffentlichkeit: Wer war die schöne Königin?

Nofretete wird in Berlin ausgestellt .
Nofretete wird in Berlin ausgestellt .Reuters / Fabrizio Bensch
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Die Büste der Nofretete wurde 1912 entdeckt und 1924 erstmals öffentlich präsentiert – in Berlin, wo sie der Star der Museumsinsel ist. Doch Ägypten kämpft um die Rückgabe.

Schmaler lange Hals, gerade Nase, volle Lippen, ebenmäßige Züge: Nofretete ist schön. Oder jedenfalls die Büste, die man von der altägyptischen Königin kennt. Die Ohren sind zwar ein wenig abgeschlagen, ein Auge leer, doch das schmälert nicht die Faszination, die das Abbild seit nun 100 Jahren ausstrahlt. Der Ort, an dem sie zu sehen ist, verstärkt die Aura: Die Büste thront hinter einer Konstruktion aus schützendem Glas im imposanten Nordkuppelsaal des Neuen Museums in Berlin, das Licht ist auf sie gerichtet. Gefunden wurde die Büste zwar schon am 6. Dezember 1912, doch bis sie öffentlich zu sehen war, vergingen mehr als zehn Jahre: Am 1. April 1924 wurden die 49 Zentimeter Kalkstein, bemalter Stuck, Wachs und Bergkristall erstmals präsentiert und begründeten den weltweiten Ruhm der Herrscherin.

Von deren Leben weiß man indes wenig. Die historische Nofretete lebte im 14. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung als Hauptgemahlin von Pharao Amenophis IV., dem späteren Echnaton. Gesicherte Informationen über sie gibt es kaum. Zum Zeitpunkt der Krönung von Amenophis dürfte Nofretete vermutlich 12 bis 16 Jahre alt gewesen sein. Sechs Töchter soll sie gehabt haben (eine von ihnen, Anchesenamun, wurde die Ehefrau Tutanchamuns, der ihr Halbbruder oder Bruder war).

Eine ungewöhnlich private Szene: Nofretete und Amenophis/Echnaton mit ihren Kindern
Eine ungewöhnlich private Szene: Nofretete und Amenophis/Echnaton mit ihren Kindern via imago-images.de

Über Söhne Nofretetes ist nichts überliefert. Im Relief „Familienszene“ spielen zwei Kinder auf ihr, Amenophis hält ein weiteres. Die Darstellung wirkt wie alltäglich und dadurch ungewöhnlich privat. Aus anderen Darstellungen des Paares schließen Forscher, dass Nofretete eine aktive Rolle als Herrscherin einnahm. Im Grab des Panehsi in Amarna ist sie mit der königlichen Atef-Krone zu sehen, wie vor ihr nur Pharaonin Hatschepsut. Amenophis/Echnaton hat sich möglicherweise eher um religiöse Belange gekümmert. Er versuchte den Monotheismus einzuführen und erhob den Gott Aton zum Gott über alle Götter Ägyptens.

Wann Nofretete starb, ist nicht bekannt. Auch wo ihre Grabkammer ist oder war, ist immer noch ein Geheimnis. Ihre Büste wurde am 6. Dezember 1912 im Atelier eines Bildhauers gefunden. Ludwig Borchardt, Leiter der Grabung im ägyptischen Tell el-Amarna, notierte in seinem Tagebuch: „Farben wie eben aufgelegt. Arbeit ganz hervorragend.“ Doch Sprache schien ihm für Nofretete kaum auszureichen. „Beschreiben nützt nichts, ansehen.“

Auch um die Büste der Nofretete gibt es eine Rückgabedebatte.
Auch um die Büste der Nofretete gibt es eine Rückgabedebatte.Reuters / Fabrizio Bensch

Die Debatte um die Rückgabe von Kunstwerken in die Länder, in denen sie gefunden wurden, macht auch vor der schönen Königin nicht Halt. Doch die Deutschen argumentieren, dass die Ägypter damals keinen Anspruch auf sie erhoben. Gemäß den damals geltenden Bestimmungen wurden die Funde „zu gleichen Teilen“ zwischen Ägypten und dem Land geteilt, das die Ausgrabung durchführte. Auf ägyptischer Seite stand der „Klappaltar von Kairo“ ganz oben auf der Wunschliste. Die Deutschen wollten Nofretete.

Die Büste wurde damit Eigentum des Berliner Unternehmers und Mäzens James Simon. 1920 vermachte er die Büste den Berliner Museen. Bis zur ersten Präsentation blieb sie weitere vier Jahre unter Verschluss.

»Wenn Nofretete, nachdem sie 3000 Jahre da im Wüstensand verborgen lag, einfach noch ein paar Jahre durchgehalten hätte, dann wäre sie jetzt in Kairo. Da gibt es überhaupt kein Vertun.«

Sebastian Conrad

Historiker 

Der Historiker Sebastian Conrad ist sich sicher: „Wenn Nofretete, nachdem sie 3000 Jahre da im Wüstensand verborgen lag, einfach noch ein paar Jahre durchgehalten hätte, dann wäre sie jetzt in Kairo. Da gibt es überhaupt kein Vertun.“ Conrads Buch „Die Königin. Nofretetes globale Karriere“ erscheint am 1. Februar. Er verweist auf die Entwicklung im damaligen Ägypten: Als etwa Howard Carter 1922 im Tal der Könige das Grab des altägyptischen Königs Tutanchamun entdeckte, war die Ausfuhr der Funde bereits verboten.

Nofretete dagegen begründete von Berlin aus ihren Weltruhm. „Nofretete entspricht den Schönheitsvorstellungen der damaligen Zeit. Wenn man so will, wird sie als eine Greta Garbo gesehen“, so Conrad. Die Präsentation in Europa sorgte zudem dafür, dass sie in Westeuropa und den USA schnell zu einer Ikone wurde.

Ihr linkes Auge wurde nie gefunden

Dass sie nur ein Auge (aus eingefärbtem Bienenwachs mit dünnem Bergkristall) hat, ändert daran auch nichts. Das fehlende linke Auge wurde nie gefunden – wenn es denn existiert hat. Nofretete wurde Kultobjekt, erschien als Figur der Duck-Familie, inspirierte Mode, Musik und Filme, war Thema von Künstlern wie Isa Genzken. Wer mag, kann sich für fast 10.000 Euro auch eine farbige Kopie der Büste anfertigen lassen.

Im Laufe eines Jahrhunderts hat sich Nofretete zur Herrscherin auch der Berliner Museumsinsel entwickelt. „In Berlin ist die Nofretete der Star der Ausstellungen auf der Museumsinsel“, sagt Conrad. „Sie ist ein ökonomischer Faktor, ein Magnet für die Museen, insofern auch bares Geld wert.“ Doch Nofretete ist nicht nur schön. „Sie steht für diese Ursprungserzählung der Moderne“, so der Historiker. Es sei der Moment, „in dem Monotheismus, Rationalität und Individuum erfunden werden. Das ist dieses Narrativ, was seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gestrickt wird.“

»Die Nofretete hat Ägypten auf illegale Weise verlassen.«

Zahi Hawass

Ägyptologe

Ist die Rückgabe einer solchen Touristenattraktion vorstellbar? „Die Nofretete hat Ägypten auf illegale Weise verlassen“, sagt Zahi Hawass, ehemaliger Minister für Altertumsgüter. Es sei sein „großes Ziel“, Deutschland zur Rückgabe zu bewegen. Der Ägyptologe ist wie viele andere Experten der Auffassung, Grabungsleiter Borchardt habe bei der Fundteilung getrickst. Die Büste sei unrechtmäßig nach Berlin gekommen, Borchardt habe sie sogar mehr als zehn Jahre lang vor der Öffentlichkeit versteckt.

„Ich habe alle Dokumente und Beweise gesammelt, um zu belegen, dass Borchardt sie gestohlen hat“, sagt Hawass. Die Nofretete sei ein „nationales Artefakt“ und gehöre ins neue Große Ägyptische Museum an den Pyramiden von Gizeh. Besucher werden dort bei Touren gebeten, Hawass‘ Petition zu unterzeichnen: Diese hat derzeit 214.000 Unterzeichner – Hawass hofft auf eine Million und will dann auch im Rückgabe-Streit mit Berlin einen neuen Anlauf starten. „Ich werde niemals aufgeben“, sagt Hawass.

Aus Sicht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu der das Neue Museum gehört, wurde die Büste im Rahmen einer genehmigten Grabung gefunden und nicht illegal außer Landes gebracht. Für Stiftungspräsident Hermann Parzinger ist die Lage eindeutig. „Es ist belegt, dass bei der Fundteilung vorher beiden Seiten eine komplette Liste aller Funde vorlag, und von den besseren Stücken sogar Fotos. Es gibt eine ganze Serie an Schwarz-Weiß-Fotos, aus allen Blickwinkeln.“

»Der deutsche Anspruch auf diese Büste ist zumindest sehr zweifelhaft.«

Sebastian Conrad

Historiker

„Der deutsche Anspruch auf diese Büste ist zumindest sehr zweifelhaft“, meint hingegen Historiker Conrad. Heute würde niemand mehr eine Regelung wie 1912 akzeptieren. „Diese Gesetze sind eigentlich das, was Juristen sittenwidrig nennen.“ Schon zu dieser Zeit hätte niemand Funde etwa in Italien oder Griechenland mitnehmen können. Für den Historiker sind „die ägyptischen Ansprüche nicht weniger plausibel als die deutschen“. Conrad schlägt vor, „das Konzept von Weltkulturerbe wörtlich zu nehmen, eine internationale Organisation mit dem Besitz zu beauftragen und dann auch unterschiedliche Ausstellungsorte auf die Art und Weise zu ermöglichen“. Noch hat Herrscherin Nofretete ihren majestätischen Sitz in Berlin. (APA/dpa/Red.)

Neues Buch

Sebastian Conrad: „Die Königin. Nofretetes globale Karriere“, Propyläen Verlag, Berlin 2024

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