Untersuchung

Übergriffe, Erniedrigung, Verleumdung: Das desaströse Arbeitsklima im niederländischen Rundfunk

Der Bericht, den Martin van Rijn präsentierte, sorgt für mächtig Zündstoff in den Niederlanden
Der Bericht, den Martin van Rijn präsentierte, sorgt für mächtig Zündstoff in den Niederlanden IMAGO/Robin van Lonkhuijsen
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Nach einem Skandal um übergriffge Moderatoren wurde in den Niederlanden das Arbeitsklima im öffentlich-rechtlichen Rundfunk untersucht. Das Ergebnis schockiert: Drei Viertel der Befragten gaben an, belästigt worden zu sein. 

Im niederländischen Volksmund gibt es ein Synonym für die Medienstadt Hilversum und die sie umgebenden Villenviertel und noblen Vororte. Des lautet: „De Gooise Matras.“ Der Ausdruck, der in den wilden 60iger-Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand und von dem Journalisten Jan Vrijman stammt, ist doppeldeutig. Er bedeutet nicht nur, dass man in Hilversum und Umgebung gut wohnen und ruhig schlafen kann, sondern dass man(n) und frau dort gerne schnell und gemeinsam die Schlafzimmer teilen für einen One-Night-Stand oder einen Seitensprung. In der populären TV-Serie „Gooische Vrouwen” in der auch TV-Göttin Linda de Mol mitspielte, thematisieren die TV-Macher von Hilversum den „Sex in the City“ á la hollandaise in Hilversum und Umgebung.

Aber auch in den TV-Studios und Büros in Hilversum geht es offenbar viel um Sex – und zwar oft auf unerwünschte Weise. Grenzüberschreitendes Verhalten, seit der MeToo-Bewegung ins Bewusstsein gerückt, ist dort einer Untersuchung zufolge eher an der Tagesordnung als die Ausnahme.

„Blow Jobs“ im Studio

Bekannt wurde das nun durch einen Skandal um den Publikumsrenner „De Wereld Draait Door“ – die Welt dreht sich weiter, besser: Die Welt dreht durch. Die Show wurde wie andere TV-Sendungen von männliche TV-Stars dazu genutzt, um Frauen ins Bett zu bekommen oder sogar im Studio einen „Blow Job“ einzufordern. Als das bekannt wurde, kostete ihr Verhalten zahlreichen männlichen TV-Stars und Sängern den Job – darunter auch dem Ehemann von Linda de Mol. Außerdem wurde der TV-Superstar Matthijs van Nieuwkerk (62), hochbezahlter Präsentator von „De Wereld Draait Door DWDD“ gekündigt, weil er hinter den Kulissen seiner beliebten TV-Show wie ein Tyrann herrschte. Seine Wutausbrüche waren überall bei den Mitarbeitern der Show gefürchtet.

Der Skandal führte dazu, dass eine Untersuchungskommission eingesetzt wurde über Verhalten und Kultur bei den öffentlich-rechtlichen Medien der NPO (das Kürzel steht für Nederlandse Publieke Omroep, niederländische öffentlich-rechtliche Medien). Der Vorsitzende der Untersuchungskommission, Martin van Rijn, legte jetzt seinen Abschlussbericht vor, nachdem er und sein Team rund 2500 Mitarbeiter der öffentlichen TV- und Radiosender der Niederlande befragt hatten.

Sexuelle Bemerkungen an der Tagesordnung

Fazit: Rund 75 Prozent aller befragten Medienmitarbeiter gab an, dass sie während ihrer Arbeit belästigt werden. Verbale Gewalt, Mobbing, sexuelle Bemerkungen seien Bestandteil des Arbeitsalltags. Vor allem sexuell gefärbte Sprüche oder gar deutliche Anmachen von Männern an weibliche Mitarbeiter seien eher die Regel als die Ausnahme. Manche Männer prahlten öffentlich in den TV-Büros damit, mit welcher Kollegin sie die letzte Nacht verbracht haben. Manche Männer würden weibliche Mitarbeiterinnen öffentlich fragen, wem sie lieber einen „Blow Job“ geben wollen – dem Fragesteller oder jemanden anderen. Frauen, die das nicht hören wollten oder das nicht akzeptierten, seien als „prüde“ und „humorlos“ abgekanzelt worden, heißt es in dem Untersuchungsbericht.

Daneben herrsche in vielen TV-Büros und Studios eine „Kultur der Schreihälse“. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen würden angebrüllt und beschimpft. Manchmal ginge das so weit, dass die dermaßen mit verbaler Gewalt erniedrigten Mitarbeiter in Tränen ausbrachen. „Manche von ihnen ließen sich daraufhin auch krank schreiben“, heißt es in dem schockierenden Untersuchungsbericht weiter.

Verleumdungskampagnen und Machtmissbrauch

Der Vorsitzende der Untersuchungskommission van Rijn sagte in einer ersten Reaktion: „Ich bin geschockt über diese Ergebnisse.“ Besonders schlimm seien Verleumdungskampagnen, die gegen bestimmte Mitarbeiter lanciert würden. An manchen würde regelrechter „Charaktermord“ betrieben. Sexuelle Beziehungen zwischen Vorgesetzten und ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen kämen sehr häufig vor. Vorgesetzte würden ihre Macht „missbrauchen“.

Die Vorsitzende der öffentlich-rechtlichen TV- und Radioanstalten der Niederlande, Frederieke Leeflang, will aber die Verantwortung für die Missstände in vielen Redaktionen nicht übernehmen. Sie denke nicht daran, zurückzutreten, sagte sie in einer ersten Reaktion. „Aber ich fühle mich angesprochen. Wir müssen feststellen, dass es noch viel zu tun gibt. Ich bin fest entschlossen, das zu tun, was notwendig ist“, stellte sie fest, ohne zu sagen, was sie zu tun gedenke, um die Verhältnisse in den Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Medien zu verbessern.

TV-Star Matthijs van Nieuwkerk entschuldigte noch einmal öffentlich: „Ich habe mich schon wegen der Arbeitskultur bei DWDD entschuldigt. Das tue ich nun noch einmal,“ erklärte er am Donnerstag gegenüber verschiedenen Medien. Seine Karriere ist durch den Skandal übrigens alles andere als am Ende: Nach einer kurzen und unfreiwilligen Sendepause und einem Auftrittsverbot bei den öffentlich-rechtlichen Sendern unterschrieb er gerade einen neuen Vertrag beim Privatsender RTL.

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