„As Slow as Possible“

Noch 616 Jahre: Im langsamsten Konzert der Welt erklingt ein neuer Ton

Die Orgel im deutschen Halberstadt erklingt auch, wenn gar niemand zuhört. Neue Töne spielt sie aber nur alle paar Monate oder Jahre.
Die Orgel im deutschen Halberstadt erklingt auch, wenn gar niemand zuhört. Neue Töne spielt sie aber nur alle paar Monate oder Jahre.imago stock&people
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Im John-Cage-Orgelstück „ORGAN²/ASLSP“ ist ein neuer Ton angespielt worden. Wer beim nächsten dabei sein will, muss bis August 2026 warten.

Wie schnell oder langsam soll man ein Musikstück spielen? Eine Frage, die Interpreten oft und gerne zu Diskussionen hinreißt. Im Fall des Orgelstücks „ORGAN²/ASLSP“ ist die Sache klar, mehr oder weniger jedenfalls: „As Slow As Possible“, so langsam wie möglich, lautet die Anweisung, die der Komponist John Cage gleich zum Titel seines 1987 komponierten Stücks erhob. Wie langsam ist’s denn möglich? In der deutschen Stadt Halberstadt läuft seit 2001 eine Aufführung des Werks, die insgesamt 639 Jahre dauern soll.

Bei dieser Spieldauer wird jeder neue Ton zum Ereignis: Am Montag, 5. Februar 2024, konnte man dabei sein, wie auf der Orgel der Burchardi-Kirche in Halberstadt eine neue Pfeife angespielt wurde. Nach zwei Jahren kam zum bislang gespielten Sechs-Ton-Akkord damit ein siebter Ton dazu, ein eingestrichenes d. Wer denn Klangwechsel verpasst hat, hat im August 2026 die nächste Möglichkeit dazu (dann wird ein eingestrichenes a dazu erklingen). Und danach immer wieder, im Abstand von ein paar Monaten bis ein paar Jahren. Wer im Jahr 2640 beim finalen Akkord dabei sein möchte, kann sich jetzt schon ein Ticket dafür kaufen – was dann wohl eher als Projekt-Spende denn als Konzertbesuch zu budgetieren ist. Oder als Geschenk für die Nachfahren.

Das Kunstprojekt, realisiert von der ehrenamtlich arbeitenden John-Cage-Orgel-Stiftung Halberstadt, ging aus einer Diskussion unter Experten bei einem Orgelsymposium hervor. Die automatisch betriebene Orgel wurde eigens für das Werk gebaut. Einmal angespielt, ertönen die Noten hier kontinuierlich weiter: Das Konzert geht also weiter, auch wenn keine Besucher in der Kirche – einer vormals ungenutzten Kloster-Kirche – sind. Die Spieldauer von 639 Jahren ist nicht zufällig gewählt, sie ist ein Verweis auf eine andere, historisch bedeutsame Orgel: So alt war die Orgel im Halberstädter Dom – mit Baujahr 1361 eine der ältesten Orgeln der Neuzeit –, beim zunächst anvisierten Projektstart im Jahr 2000. 2001 ging es dann wirklich los.

Ein einzelner Organist „schafft’s“ auch in 24 Stunden

Ginge es noch langsamer? Bestimmt. Schneller jedenfalls auch: Einzelne Organisten „schafften“ es, das Stück auf immerhin mehrere Stunden auszudehnen. Etwa Alexander Meszler, der im Vorjahr eine 24-Stunden-Performance in Decorah, Iowa hinlegte. Die letzten drei Stunden seien ihm wie ein „einzelner musikalischer Moment“ vorgekommen, sagte er danach einer Lokalzeitung. „Ich weiß nicht, ob ich das je wieder so spielen könnte, ohne die 21 Stunden davor gespielt zu haben.“

Der Klavierfassung, die John Cage geschrieben hatte, bevor er sie zum Orgelstück weiterentwickelte, waren in dieser Hinsicht Grenzen gesetzt: Ein Klavierton verklingt nun einmal. Die Grenzen des Musikalischen und Spielbaren lotete der Avantgardist (1912–1992) jedenfalls gerne aus. Eines seiner berühmtesten Stücke, „4′ 33″“, besteht aus vier Minuten und 33 Sekunden Stille. Die Aufführung von „ORGAN²/ASLSP“ in Halberstadt ist sowohl ein künstlerisches Projekt, als auch eine philosophisch-intellektuelle Übung. Und natürlich eine kleine Attraktion für Besucher der Stadt.

Mit Stille begann übrigens auch dieses Stück: Sie dauerte fast eineinhalb Jahre an. (kanu)

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