Gastkommentar

Das Beste aus beiden Welten: Eine Bilanz

Peter Kufner
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Statt ständig in Angststarre vor dem politischen Schreckgespenst FPÖ zu verharren, wäre es hoch an der Zeit, dass die Koalitionspartner ÖVP und Grüne die Errungenschaften ihrer bisherigen Regierungsarbeit präsentieren.

Wir haben alle zu lang auf die Schlange gestarrt und verschreckt verharrt. Es wird Zeit aufzuwachen – und nicht mehr nur auf das Migrationsthema sowie die polarisierenden, menschenverachtenden und unrealistischen Ansagen der FPÖ zu blicken, sondern zu sehen, dass diese Regierung trotz der durchaus herausfordernden Lage viele positive Akzente gesetzt hat.

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Die Ausgangsposition mit „dem Besten aus beiden Welten“ war nicht einfach. Zwei sehr unterschiedliche Parteiprogramme standen sich zu Beginn gegenüber. Wenn die Pandemie, der Ukraine-Krieg und die darauffolgende Inflation Herausforderungen gebracht haben, die vermutlich jede Regierung gefordert und auch manchmal überfordert haben, ist es dennoch wichtig, jene Veränderungen zu sehen, die durchgesetzt wurden.

Zusätzlich hat sich die ÖVP im Lauf dieser Legislaturperiode umgebaut, der erzwungene Rückzug von Sebastian Kurz als Kanzler und Parteichef hat die Volkspartei intern sehr gefordert und die Regierungszusammenarbeit nicht erleichtert, da der neue Parteichef nachvollziehbarerweise versucht, Profil als Führungskraft zu entwickeln.

Koalition = Kompromiss

Dennoch ist diese Koalition ein Versuch, das konservative Programm der ÖVP mit dem ambitionierten Programm des grünen Juniorpartners zu kombinieren. Gerade der Aspekt, dass man als kleinerer Partner in einer Koalition naturgemäß weniger durchsetzen kann als der größere Partner, wird von grünen Sympathisanten oft unterschätzt. Unter diesem Blickwinkel haben die Grünen sehr viel umgesetzt, denn Koalition bedeutet immer Kompromiss.

Blickt man über die Probleme Österreichs hinaus, ist klar, dass die Klimakatastrophe die wichtigste Herausforderung der Zukunft ist. Dementsprechend war es richtig, dass Österreich einige wichtige Gesetze im Umweltbereich beschlossen hat. Auch wenn das übergeordnete Klimaschutzgesetz noch finalisiert werden muss, wurden im Verkehrsbereich doch Maßnahmen Gesetz, die richtungsweisend sind. So bekamen Radfahrer und Fußgänger als klimafreundliche Mobilitätsformen durch die Novelle der Straßenverkehrsordnung einen höheren Stellenwert. Neben dem Ausbau von Fahrradwegen, der Elektrifizierung von Bahnstrecken, der Förderung des Umstiegs des Gütertransports auf den Schienenverkehr ist besonders das Klimaticket ein Erfolg.

Auch das Thema Bodenversiegelung wird ernsthaft diskutiert, und es ist zu hoffen, dass ein entsprechendes Gesetz einer Bodenstrategie noch vor Ende der Legislaturperiode das Parlament passiert.

Auf EU-Ebene wurden Beschlüsse gefasst, die Hoffnung geben: Künftig sollen mehr Wälder aufgeforstet, Moore renaturiert und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Hier werden Verhandlungen zwischen den diversen Parteien nötig sein, um weiterzukommen. Doch es werden Kompromisse als realpolitische Umsetzung im Rahmen der gelebten Demokratie gefunden werden.

Im Tierschutz konnte diese Regierung Fortschritte erzielen. Die ganzjährige Anbindehaltung von Rindern und das Schreddern von Küken wurde verboten. Die Schweinehaltung bekommt dank des Verfassungsgerichtshofs rascher neue Auflagen. Darüber hinaus wurden Verbesserungen für Tiertransporte beschlossen. Auch in diesem Bereich sind dies nur erste Schritte. Die Kennzeichnungspflicht für Produkte in Restaurants ist noch offen, die Umstellungen der Landwirtschaften zur Erhöhung des Tierwohls wird ebenfalls weitere Maßnahmen erfordern.

Gestärkter Justizbereich

Betrachtet man wirtschaftliche Bereiche, so ist die seit Jahrzehnten diskutierte Abschaffung der kalten Progression eine wesentliche Errungenschaft dieser Regierung. Wieweit die Inflationseindämmung erfolgreich läuft, ist umstritten, wirklich beurteilen wird man dies erst nach Jahren rückblickend können.

Dass es den zu Beginn des Ukraine-Kriegs befürchteten Energieengpass im Winter durch reduzierte Gaslieferungen aus Russland nicht gegeben hat, ist eine Leistung, die man gern vergisst, da ja der befürchtete Schaden ausgeblieben ist. Wirtschaftswachstum und Beschäftigungslage sind besser als befürchtet. Auch hier gilt, dass es natürlich immer Luft nach oben gibt.

Als Erfolg dieser Regierung muss gewertet werden, dass es im Justizbereich zu Reformen gekommen ist, die die Unabhängigkeit der Justiz stärken und den Verdacht der Beeinflussbarkeit der Gerichte zurückdrängen. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Unabhängigkeit der Justiz in einer funktionierenden Demokratie nicht genug gestärkt werden kann.

Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses gehört zu den Erfolgen. Sie ist eine lang fällige Transparenzmaßnahme, die das Vertrauen des Bürgers in den Staat stärkt. Das beschlossene Antikorruptionsgesetz geht ebenfalls in diese Richtung. Auch hier muss man dem grünen Koalitionspartner zugutehalten, entscheidende Beschlüsse durchgesetzt zu haben.

Im Gesundheits- und Sozialbereich ist nach der Bekämpfung der Pandemie – die durch die parteipolitische Besetzung des Themas durch den früheren Kanzler nicht gut gelaufen ist, weil das Problem politisch statt fachlich angegangen wurde – gelungen, eine große Strukturreform des Gesundheitswesens durchzuführen, die strukturell und langfristig wirken kann.

Gegen den Willen der Länder und der Ärztekammer ist es im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen gelungen, mehr Kassenstellen, zusätzliche Gesundheitszentren und Gruppenpraxen sowie eine Strukturreform in den Spitälern zu erreichen.

Schädliche Fokussierung

Die ständige Diskussion der Migrationsfrage ist in mehrfacher Hinsicht schädlich, da sie durch eine Fokussierung jene Rechtspopulisten stärkt, die einfache, aber menschenrechtsverletzende und unrealistische Lösungen versprechen. Andererseits ist klar, dass die Migrationsfrage eben nicht national, sondern nur auf internationaler und europäischer Ebene gelöst werden kann. Es wäre daher wichtig, nicht so zu tun, als wäre dieses Thema die einzige entscheidende Frage für Österreichs Zukunft.

Klimaschutz, Artenschutz, Bodenversiegelung, Tierschutzgesetze, Abschaffung der kalten Progression, Gesundheitsreform – solche strukturellen Themen mehrheitsfähig zu machen, war und ist das Bohren harter Bretter. Ziel muss es daher jetzt sein, dass sich die Wähler dieser erreichten Erfolge bewusster werden.

Aktuell wird häufig die Frage diskutiert, ob im Herbst oder schon im Juni gewählt werden soll. Hierzu ist zu sagen: Gerade, wenn es darum geht, der in den Meinungsumfragen führenden FPÖ entgegenzuarbeiten, wäre es wesentlich, jetzt jene Punkte deutlicher zu machen, die man bis in den Herbst noch schaffen will, kann und wird. Damit kann auf der Sachebene in Form eines guten Finales nochmals gezeigt werden, dass es sehr wohl möglich war, im Rahmen des „Besten aus beiden Welten“ in der letzten Regierungsperiode einiges für Österreich weiterzubringen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Klaus Atzwanger (*1965) ist Verhaltenswissenschaftler und Unternehmensberater. Er beschäftigt sich mit menschlichem Sozialverhalten, der Akzeptanz von Innovationen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Mehrere Publikationen.

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