Die Designerin Johanna Seelemann pendelt mit ihren Ideen zwischen Leipzig und Island. 
Johanna Seelemann

Inseln, Design und Reisepässe für Bananen

Designerin Johanna Seelemann experimentiert gern mit den ästhetischen Erwartungen an Materialien und „neue“ Technologien, die oft gar nicht so neu sind.

So eine Inselerfahrung kann Johanna Seelemann jedem empfehlen. Es muss ja nicht genau die Insel sein, die es der Designerin aus Leipzig besonders angetan hat. Jene, wo sie heute noch zeitweise unterrichtet und arbeitet. Für Seelemann jedenfalls war Island die richtige. „Mein Aufenthalt dort hat meine Denkweise sehr beeinflusst“, sagt sie. Und ihr geholfen: nämlich einmal systematisch die Perspektive zu wechseln. Einen neuen Zugang zu Materialien und ihrer Wahrnehmung zu entwickeln. „Viele Designer und Designerinnen dort arbeiten im Feld von Recycling, von Plastik oder Textilresten“, erzählt sie.

In Island laufen natürlich auch die Containerschiffe in den Hafen. Mitunter beladen mit Bananen, die Seelemann wenig später aus den Mülltonnen hinter Supermärkten in Reykjavík gefischt hat. Beim „Dumpster-Diven“. Auch an dieser Stelle hat für sie schon eine Design-Recherche-Reise begonnen. Aber zunächst tauchte sie in ganz andere Kontexte tief ein. „Hier geht man ja auch von einer Prämisse aus: Wie gehen wir klug mit dem wenigen um, das wir zur Verfügung haben?“ Mit lokalen Materialien also, damit nicht extra wieder Containerschiffe mit neuen Ressourcen einlaufen müssen.

„Potentials“, eine Kooperation mit G-Star-Raw, nützt den Jeansverschnitt für eine Möbelkollektion
„Potentials“, eine Kooperation mit G-Star-Raw, nützt den Jeansverschnitt für eine MöbelkollektionJOHANNA SEELEMANN

Umdeutungen

Und manche Ressourcen sind aus Island verschwunden, Wälder etwa. Bei Aufforstungsprojekten kommt nun auch die Weide ins Spiel. „Um den Boden vorzubereiten“, erzählt Seelemann. Und als der Baum seine Aufgabe erledigt hatte, war plötzlich ziemlich viel Weidenholz auf einmal vorhanden. „Ein ganz spezielles Holz, mit hoher Spannung.“ Schließlich hat es sich 30 Jahre lang im Wind gebogen, der noch dazu ständig dreht. Die normale Karriere von Weide lautete dann: In den Ofen oder als Wegbelag auf den Boden. Da initiierte Seelemann gemeinsam mit anderen das „Willow Project“, eine Design-Versuchsanordnung. „Wir wollten herausfinden, welche Materialpalette wir aus der Weide kreieren können, nur indem wir Hitze oder Wasser zuführen“, erzählt sie. „Das war ein Projekt, das mir geholfen hat, eine bestimmte Denkweise für meine Arbeit zu entwickeln.“

Und dazu gehören auch flexible, spontane Gedanken, die sich aus systematischen Konventionen herauswagen. „Die Menschen in Island sind sehr gewitzt in der Lösungsfindung. Sie fragen sich durch, bis sie bekommen, was sie suchen.“ Ein Weg, den Seelemann so ähnlich als Gestalterin geht. Nur dass sie Experten fragt, nicht unbedingt die Nachbarn. Vor allem ein Buch hat ihr in den letzten Jahren imponiert: „Lo-Tek. Design by Radical Indigenism“ von Julia Watson. Die Autorin beschäftigt sich mit „alten“ Technologien, die über Jahrhunderte funktioniert haben. Etwa mit Brückenarchitektur, die auf Baumwurzeln basiert. „Überall gibt es lokales Wissen“, ist Seelemann überzeugt. Im Tiroler Bergbauerndorf genauso wie im Regenwald. Man muss es nur geschickt dorthin transferieren, wo es dringend gebraucht wird. Wie im zirkulären Design etwa.

Stressgeplagte Bäume in der Stadt brauchen Wasser an den Wurzeln: „Oase“ ist eine alte Idee, neu gedacht
Stressgeplagte Bäume in der Stadt brauchen Wasser an den Wurzeln: „Oase“ ist eine alte Idee, neu gedacht

Lokales Wissen hat Seelemann zu einem anderen Projekt geführt: Möbel aus Stroh und Lehm. Eine Herausforderung, wie die Designerin zugibt. Vor allem, weil die Welt und vor allem die Konsumenten bestimmte ästhetische Erwartungen haben. An Möbel und Materialien sowieso. Aber auch daran, wie Konzepte wie „Zukunft“ oder „Technologie“ aussehen sollen. Da sollte man dem „Wissen“, das im Entwurf Gestalt annimmt, auch nicht zu sehr ansehen, dass es im Grunde ziemlich alt ist. Um nicht zu sagen: antik. Wie jenes, das Seelemann für ein Bewässerungs­system benutzt hat. Nämlich Terrakotta­behälter, die man in die Erde eingräbt, um hitzegestresste Stadtbäume zu bewässern. Im Projekt „Oase“ sehen die Gefäße nicht aus wie antike Amphoren, sondern wie technoid anmutende Kraftstofftanks. „Es war die Idee, den Behältern eine indus­trielle Designsprache zu geben“, erzählt Seelemann. Es müsse nach „Technologie“ aussehen, damit es akzeptiert werde. „Gerade bei nachhaltigem Design schwingt eine Ästhetik mit, die man sich erwartet. Und mit dieser Erwartung ans Material experimentiere ich sehr gern.“

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