Skifahren

Freeriden: Gefahrenstufe null gibt’s nicht

Freeride-Ski haben guten Auftrieb dank Vorspannung und mehr als 100 Millimeter Breite unter der Bindung. Die Länge? Körpergröße und plus. Der Radius: ab 18 Metern. Macht Spaß.
Freeride-Ski haben guten Auftrieb dank Vorspannung und mehr als 100 Millimeter Breite unter der Bindung. Die Länge? Körpergröße und plus. Der Radius: ab 18 Metern. Macht Spaß. Getty/Marcin Wiklik
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Es müssen keine Sprünge, Grate, Rinnen sein. Auch schon ein paar Meter unweit der Piste kann Freeriden einen ordentlichen Flow haben. Aktuelle Infos und Lawinenausrüstung sind ein Muss.

Ein Blick auf die Seiten des Lawinenwarndienstes am Freitag: Die Gefahrenstufe in weiten Teilen Tirols, die Gebiete am Alpenhauptkamm ausgenommen, liegt bei eins. Das bedeutet für Freerider von St. Anton bis nach Jochberg an diesem Tag Verheißungsvolles. Das Risiko im sogenannten freien Skiraum wird als „gering“ eingeschätzt, was die „Auslösewahrscheinlichkeit, Größe und Häufigkeit der zu erwartenden Lawinen“ betrifft.

Dann zeigt der Lawinenlagebericht noch etwas anderes. Vor mehr als zehn Jahren haben die beiden Tiroler Experten Rudi Mair und Patrick Nairz zehn Gefahrenmuster klassifiziert, die am häufigsten auftreten. Diese Muster sind in die Lawinenvorhersage (auf https://lawinen.report) eingeflossen. Vor zwei Tagen hätten es Skifahrer und Snowboarder unter Umständen mit Nummer zwei (gm.2) zu tun bekommen: dem Gleitschnee, der nur darauf wartet, auf einer glatten Fläche abzurutschen, etwa auf dem langen Gras eines Steilhangs, um dann alles mitzureißen. Man erkennt diese brenzligen Stellen zwar an Gleitschneemäulern samt ihren großen Rissen bis tief in die Schneedecke. Allerdings gehören diese Lawinen zu den unberechenbarsten. Nicht nur in ihrem Standardwerk „Lawine“ raten Mair und Nairz dazu, Bereiche darunter zu meiden und „großen Respektabstand im Auslaufbereich“ zu halten.

Schicht für Schicht

Warum so viel Theorie, wo man doch nur ein paar Meter (oder mehr) neben der Piste durch den Tiefschnee driften möchte? Weil es Lawinengefahrenstufe null nicht gibt, das wäre kein Schnee. Unsicherheitsfaktoren sind immer vorhanden. Und binnen kurzer Zeit kann sich die Situation drastisch ändern, durch starken Wind, große Neuschneemengen und Regen die Gefahr auf der fünfteiligen Skala nach oben schnellen. Die Schneedecke mit ihren Schichten ist eine fragile Angelegenheit, je höher die Gefahrenstufe, desto flacheres Terrain betrifft es auch.

Also hat man die Infos – so lokal und detailliert wie möglich – noch zu Hause internalisiert. Hat eine Lawinen-App heruntergeladen und die richtige Ausrüstung eingepackt (Lawinenverschüttetensuchgerät, Schaufel, Sonde, ein Lawinenairbag ist auch kein Luxus), bevor das Off-Piste-Abenteuer starten kann. Noch ein Auge auf den Wetterbericht geworfen, vor Ort auf das Gelände und den Schneedeckenaufbau, weil sich darin alles Geschehene abbildet: Wurde viel Triebschnee verfrachtet? Wie gut sind die Schichten verbunden? Was geht auf einem Südhang schon, was auf einem Nordhang nicht? Je öfter man in die Materie Schnee eintaucht, desto besser lassen sich die Zeichen lesen, etwa Windgangeln und Wechten. Natürlich hilft Routine, sich im Zweifelsfall, richtig, gegen den Tiefschnee zu entscheiden – oder für einen Tag auf der gesicherten Piste.

Der ganze Aufwand überzogen?

Manche, deren gewagte Spuren man vom Lift aus sieht, meinen noch immer, der ganze Aufwand sei überzogen für ein paar spontane Ausritte ins Backcountry. Nur was für klassische Tourengeher, die sich beim stundenlangen Aufstieg weit mehr exponieren als Freerider, die nach einer Liftfahrt vielleicht nur ein paar Höhenmeter – mit ihren breiten Latten am Rücken – hinaufstapfen, zwischen Bäumen bleiben und bald wieder an der Talstation sind?

Das Risiko bleibt, ob nun frischer Powder in Sichtweite zur Piste liegt oder Firn auf einem Kar in einem versteckten Seitental wartet. Außerdem sind Jungwald und abgezäunte Bereiche tabu. Bei aller Erfahrenheit lohnt es sich meist, auf Alleingänge zu verzichten und sich der Expertise staatlich geprüfter Berg- und Skiführer oder expliziter Freeride-Camps anzuvertrauen. Keiner kennt die ausgesetzten Stellen, die Mulden und Rinnen besser als ein Local.

Run, Line, Sluff

Schaut doch alles so lässig, so nach Schweben und Surfen aus in den spektakulären Freeride-Filmen, selbst bei Eis, Harsch oder Sulz. In den packenden Videos stehen dann Profis am Einstieg einer Rinne, oft eine „no-fall-zone“, und nach drei, vier eleganten Turns schon wieder unten. Bei einem Stopp der „Freeride World Tour“ in Fieberbrunn Mitte März kann man live mitverfolgen, wie sich ein „Big Mountain“ wie der ruppige Wildseeloder bewältigen lässt. In großen Radien und mit ein paar harmonisch in den Run (Fahrt) eingebauten Cliffdrops (Sprüngen), weil die ästhetische Komponente in der Topliga des Freeridens auch zählt.

Videostoff voller Adrenalin sind ebenfalls Runs über extrasteile Grate (Spines): Unter jedem Schwung rieselt links und rechts lockerer Schnee weg. Sluff, Material, das noch zu keiner Lawine geworden ist. Spätestens das ist dann der Part, den selbst sehr versierte sportliche Laien im Selbsttest auslassen sollten. An der eigenen Line (Spur) kann man trotzdem in diesem Winter arbeiten, wenn wieder Schnee nachkommt, aber die Gefahrenstufe gering ist.

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