Gastkommentar

Von Dollfuß zum Austrofaschismus

Replik. Die kürzlich inszenierte Sabotage des Dollfuß-Museums verstößt gegen jeden sachlichen Umgang mit einer schwierigen Materie.

Als Mitglied des Beirats zur Neukonzeption des Dollfuß-Museums in Texingtal habe ich die kürzlich inszenierte Sabotage des Projekts eines eigens dafür ernannten Teams wenig erstaunt, aber mit Empörung zur Kenntnis genommen, weil sie gegen jeden sachlichen Umgang mit einer schwierigen Materie verstößt. Es scheint mir nicht hinnehmbar, dass unter Anführung des für das Museum zuständigen Bürgermeisters einige Leihgeber im Umkreis der Dollfuß-Familie wie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ein Projekt unterlaufen, mit dem keine ernsthafte Auseinandersetzung stattgefunden hat oder je folgen wird.

Indessen hätte das von dem Team konsequent ausformulierte Szenarium einer konstruktiven Auflösung des Museums eine Diskussion verdient, gerade weil es zu Ende eines fünf Jahre langen vielseitigen Wegs in ein leeres Gebäude geführt hätte. Die Entleerung haben die Dolfußianer nun ikonoklastisch selbst angepackt und damit neue Fakten geschaffen. Man darf gespannt sein, was sie mit dem baufälligen Haus, das dringend einer Sanierung bedarf, noch anstellen wollen.

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In Zuschriften etwa an die „Presse“ wurde keineswegs das befremdliche Prozedere seitens der Gemeinde und der Familie kritisiert, wie man hätte erwarten können, sondern alles Mögliche am Projektteam und am Beirat, so eine postulierte Geldverschleuderung, die bei der strukturierten Leeräumung des Hauses jedoch erheblich niedriger ausgefallen wäre als im Fall seiner Renovierung für eine allfällige Neufüllung.

Alte Polemik aufgewärmt

Besonders bemerkenswert scheint mir aber, dass in diesem Zusammenhang eine mittlerweile obsolet gewordene Polemik gegen den sogenannten Austrofaschismus wieder aufgewärmt wurde, bei dem es sich um ein Steckenpferd linker Fanatiker handle. Nun: Die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur gehört zeitlich unstreitig in den Faschismus-Kontext. Dass der Faschismus-Begriff damals „normal“ war, dürfte sich nicht bezweifeln lassen, und er wird seither in einer immer breiter werdenden Literatur in einem allgemein (generisch) gedachten Wortsinn problemlos weiter eingesetzt.

Bahnbrechend war vor 60 Jahren Ernst Noltes „Faschismus in seiner Epoche“ (1963), und in der Folge sind andere klangvolle Namen dazugekommen: chronologisch von Wolfgang Wippermann, Roger Griffin, Stanley Payne, Enzo Collotti über Emilio Gentile, Aristotle A. Kallis, Philip Morgan, Robert O. Paxton bis zu Anton Pelinka, der seinem Buchtitel „Faschismus“ (2022) allerdings ein Fragezeichen zugefügt hat.

Was die Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur direkt anbelangt, geriet sie aus vielen Gründen in Abhängigkeit vom Mussolini-Faschismus (man denke nur an die entwürdigende Szene des normal gekleideten Dollfuß neben Mussolini und Schwiegersohn Ciano in Badehosen am Strand von Riccione) und anschließend – wegen Mussolinis Abdriften ins Hitler-Fahrwasser – in die noch bedrängendere Abhängigkeit vom Hitler-Faschismus, der das Schicksal der Ersten Republik endgültig besiegeln sollte.

Selbstverständlich gab/gibt es Unterschiede zwischen dem österreichischen, italienischen und deutschen Faschismus, von Pelinka treffend eingefangen in der qualifizierenden Abfolge vom „real existierenden“ italienischen zum deutschen „Faschismus, aber mehr“ und dem österreichischen „Faschismus, aber weniger“. Dass sie alle in die Epoche des Faschismus gehören, ist schlicht ein Faktum. Insofern ist „Austrofaschismus“ keine willkürliche Linksdefinition, sondern als österreichische Variante von Faschismus durchaus gängig.

Carlo Moos (* 1944) war Ordinarius für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich und ist seit 2010 emeritiert. Er ist Mitglied im Beirat des Dollfuß-Museums.


E-Mails: debatte@diepresse.com

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