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Interview zum Spectrum-Fortsetzungsroman: Radek Knapp hofft auf Trinkgeld

„Wenn die große Welt nicht funktioniert, erschaffen wir uns eine kleine Welt, die es tut.“ Radek Knapp über „seinen“ Markt.
„Wenn die große Welt nicht funktioniert, erschaffen wir uns eine kleine Welt, die es tut.“ Radek Knapp über „seinen“ Markt.Foto: Clemens Fabry
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Radek Knapp schreibt für das „Spectrum“ einen Roman in Fortsetzungen. Schauplatz: ein Markt in Wien. Start: nächste Woche. Ein Gespräch über seinen Zweitjob als Obstverkäufer, urbane Gesichtsdemenz und seine polnische Großmutter.

Was sind eigentlich Ihre Lieblingsäpfel?

Radek Knapp: Kronprinz. Eine alte Sorte, nicht sehr ansehnlich, eher klein und unauffällig. Meine Lieblingskundin sagt: So sollen Frauen ihre Männer aussuchen. Nicht nach der Oberfläche, sondern nach dem Geschmack.

Das haben Sie jetzt erfunden, oder?

Das mit dem Kronprinz stimmt. Aber ja, das sage ich selber manchmal, wenn ich sehe, dass eine Kundin zu viel Wert auf Oberflächliches legt. Auf meinem Markt laufen ja viele mit einer Ralph-Lauren-Kluft vorbei.

Seit wann machen Sie das schon?

Ich dachte eigentlich: seit vier, fünf Jahren. Dann habe ich nachgerechnet, und plötzlich waren es 16. Die Uhr läuft auf dem Markt anders als im Supermarkt. Wussten Sie, dass seit dem Mittelalter über jedem Markt in Wien eine Fahne hängt? Hing die Fahne einst ganz hoch, durften nur die Aristokraten einkaufen. War sie auf Halbmast, kamen die Pfaffen. Erst dann war der Plebs dran.

Und wie hängt die Fahne jetzt?

Ganz oben. Das heißt, dass wir jetzt alle Aristokraten sind. Oder gemeines Volk.

Wie sind Sie Obstverkäufer geworden?

Mein Großvater hat einmal gesagt: Ein Mann hat zwei Beine und zwei Nieren. Deswegen soll er auch zwei Berufe haben: Ein Beruf allein macht krank. Als ich gemerkt habe, dass ich am Schreibtisch einem Bandscheibenvorfall entgegensteuere, bin ich zu dem Marktstand gegangen, wo der Besitzer am nettesten war, und habe gefragt, ob ich aushelfen kann.

Und machen Sie Ihre Sache gut?

Soll das ein Witz sein? Ich wurde schon mehrmals vom Chef zum Verkäufer des Monats gewählt. Die Leute kommen nämlich nicht nur auf den Markt, um zu kaufen, sondern auch um zu plaudern. Und das kann ich gut. Ich kann aber auch ganz ordentlich Kopfrechnen. Und wenn es sein muss, bediene ich schnell.

Aber wenn man plaudert, kann man nicht gleichzeitig verkaufen, oder?

Deswegen ist ein guter Verkäufer wie ein Moderator: Er stellt schnell die Kunden einander vor, bis sie selber miteinander plaudern. Außerdem kann ich von Natur aus nicht den Mund halten. Alfred Dorfer verkauft zum Beispiel auf dem Naschmarkt. Ich habe mir das einmal angesehen und muss sagen, er ist wie ein Mönch, der ein Schweigegelübde abgelegt hat. Das könnte ich nie. Deswegen brauche ich übrigens auch keinen Literaturagenten. Es ist manchmal schwerer, Brokkoli zu verkaufen als ein Buch.

Irgendwelche Nachteile? Das klingt nach Traumjob. Es ist kalt im Winter, oder?

Es gibt viele Schocks. Wer bis jetzt nur um sechs Uhr aufgestanden ist, um zu pinkeln, und plötzlich um diese Zeit Kisten stapelt, der muss das erst mal seinem Körper erklären. Dann muss man mit den Grantlern fertigwerden. Einmal habe ich eine Lesung in der Buchhandlung nebenan gehabt. Eine Frau hat sich demütigst ein Autogramm abgeholt. Eine Woche später war sie als Kundin da und hat mich zur Sau gemacht, weil ein Apfel faul war. Sie hat mich nicht erkannt. Das ist übrigens interessant. Die Leute erkennen einen nicht, wenn man plötzlich den Schauplatz wechselt. Ich nenne das urbane Gesichtsdemenz.

»Ich wollte keine „lustigen Geschichten über skurrile Migranten“ mehr schreiben, die jeder von mir hören will. «

Radek Knapp

Wird diese Frau in Ihrem Fortsetzungsroman vorkommen? Haben Sie schon das Personal beisammen? 

Die nicht, da gibt es spannendere. Zum Beispiel Milica, eine Friseuse von nebenan, deren Schwager ständig von Außerirdischen entführt wird. Oder gleich gegenüber ist ein Käsestand, dessen Besitzer der erste „Millionenshow“-Gewinner war. Es gibt die Schmuckverkäuferin Ines, die an allem herummeckert und die wienerische Maxime auslebt: „Je mehr du raunzt, desto besser gelaunt bist du.“ Und da wäre noch mein Chef. Der beste Chef überhaupt. Es werden hier ein paar Leute zu Wort kommen, denen gar nicht klar ist, wie originell sie sind. 

Ist es schon vorgekommen, dass Menschen sich in Ihren Büchern wiedererkannt haben? Und waren sie dann angetan oder beleidigt?

Sie waren nicht beleidigt, aber betroffen. Ich neige nun einmal zur Ironie. Mich selbst schone ich am wenigsten, und die Leute mögen das. Aber wehe, man macht es mit jemand anderem. Inzwischen nenne ich alle und alles beim Namen. Kann sein, dass ich mich nach dem Fortsetzungsroman eine Zeit lang hier nicht mehr blicken lassen kann. Ich habe keine Lust mehr aufs Beschönigen. Ist wohl eine Alterserscheinung.

Je älter ich werde, desto lieber will ich nett sein.

Leider beobachten wir das Gegenteil. Mit dem Alter werden wir intoleranter, gieriger und ängstlicher. Der alte Mensch galt lange als eine Quelle der Weisheit und der Ruhe. Die Konsumgesellschaft hat ihn eliminiert, weil alle jung sein wollen. Omas beherrschen inzwischen den Spagat, die Opas laufen Marathon. Unsere Körper sind besser in Form als unsere Köpfe.

Gemein.

Nicht doch! Ich glaube an das menschliche Potenzial. Ich glaube bloß nicht an die momentanen Zeiten, die es unterdrücken. Mir fehlt schmerzlich der analoge Mensch von einst. Deswegen bin ich auf den Markt ­geflüchtet. Wenn die große Welt nicht funktioniert, erschaffen wir uns eine kleine Welt, die das tut. Warum stehen wohl überall kleine Grüppchen von Kunden stundenlang mit einem Glas Wein in der Kälte? Weil auf sie zu Hause der Fernseher mit den Weltnachrichten wartet. Wann haben wir schon gute Nachrichten gehört? Die einzig gute in letzter Zeit war die Wahl in Polen.

Sie kommen gerade aus Polen zurück. Der Optimismus nach der Wahl war groß – wie haben Sie das jetzt erlebt?

In den letzten acht Kaczynski-Jahren habe ich hautnah beobachten können, was eine Gehirnwäsche aus einer Nation macht. Es ist ein Wunder, dass sich das Volk jetzt in letzter Minute davon befreit hat. Europa kam wieder nach Polen und Polen nach Europa. Jetzt muss die PiS-Partei, die überall noch ihre Leute auf mafiöse Art gestreut hat, entmachtet werden. Das braucht Zeit und Arbeit. Und natürlich macht sich Ernüchterung breit: Staatspräsident Andrzej Duda funktioniert als Saboteur der neuen Regierung. Der andere Saboteur sind die Gerichte, die noch in der Hand der PiS sind. Die Bevölkerung wird langsam ungeduldig, behält aber den Überblick. Würde heute gewählt werden, würde PiS laut Umfragen von 35 auf 25 Prozent fallen. In nur zwei Monaten. Gäbe es jetzt Wahlen, hätte Donald Tusk die Absolute. Klingt doch gut, oder?

Wie oft sind Sie in Polen?

Das können schon ein paar Monate im Jahr sein. Ich habe dort meine Kindheit verbracht, und jeder weiß, dass die Kindheit ein Universum ist, das sich nicht mehr wiederholt. Das Polen der Erwachsenen ist nicht mehr so romantisch, aber auch spannend.

Ihre Kindheit war romantisch?

Nach den modernen Richtlinien nicht, da war sie schrecklich, weil meine beiden Eltern nicht da waren. Sie haben mich für eine Woche bei meinen Großeltern abgeliefert und sind erst neun Jahre später wieder aufgetaucht: Aber in Wirklichkeit war das ein großer Glücksfall, denn meine Eltern waren selber noch Kinder.

Und Ihre Großeltern, wie waren die so?

Einfache, aber kluge Leute. Großvater konnte kaum schreiben, hat aber Sachen gesagt wie: Unsere Heimat ist unser Haus mit dem Garten. Und der steht zufällig in einem Land namens Polen. Meine Großmutter hat einen Gemüseladen geführt. Als ich meinen ersten Autorenabend hatte, hat sie mir befohlen, mich „schön“ anzuziehen, weil im Publikum ein Magister oder ein Doktor hätte sein können. Und all diese wichtigen Menschen würden auf den Schriftsteller warten. Aber wer käme stattdessen herein? Ich! Dann hat sie mir einen Apfel gegeben, der mich daran erinnern sollte. Ich habe ihn sofort gegessen.

Das mit dem Apfel ist wieder erfunden, nehme ich an. War Ihre Großmutter stolz auf Sie?

Auch wenn es erfunden wäre, wäre es nicht die erste erfundene Apfelgeschichte von Bedeutung. Vermutlich war sie stolz auf mich, aber was zählt ist, dass ich ihr damit Freude bereitet habe. Meine Großmutter war etwas Besonderes. Sie lebte nach der Maxime, das Leben ist schrecklich, also beschloss ich, es schön zu finden. Wie viele andere Frauen ihrer Generation auch. Sie ist wegen des Kriegs kaum in die Schule gegangen, aber immer wieder erzählte sie mir Geschichten. Ich habe sie dann als meine eigenen ausgegeben, und sie wurden von der „FAZ“ oder der „Süddeutschen Zeitung“ mit Ehrfurcht abdruckt. Sie, die so viel durch Hitlerdeutschland gelitten hat, hatte übrigens nichts dagegen, dass ich auf Deutsch schreibe. Sie hat mir zum Schluss ein sonderbares Geschenk gemacht. Sie ist an meinem Geburtstag gestorben, damit ich nie ihren Todestag vergesse.

Sprechen Sie lieber Deutsch oder Polnisch?

Da ich generell gerne rede, ist mir jede Sprache recht. Aber ich drücke mich besser in Deutsch aus. Und die Disziplin der deutschen Sprache hat meinem slawischen Schlendrian sicher nicht geschadet.

Sie haben schon länger keinen Roman mehr veröffentlicht. Warum eigentlich?

Es gibt Autoren, die tolle Geschichten erfinden können, und solche, die etwas erleben müssen. Ich gehöre zur zweiten Sorte. Ich warte auf eine Geschichte, die ich erlebe. Außerdem wollte ich keine „lustigen Geschichten über skurrile Migranten“ mehr schreiben, die seit „Kukas Empfehlungen“ jeder von mir hören will. Ich denke, dass der Markt-Roman endlich etwas Neues ist. Ich bin wirklich so gespannt, als wäre ich kein Autor, sondern der Leser.

Aber irgendwas wissen Sie schon? Können Sie uns etwas verraten?

Ich möchte einen Roman probieren, der nicht nur durch Handlung, sondern durch eine Stimmung zusammengehalten wird. Die Stimmung schwebt über den Gästen, die in diesem Roman wie in einer Kneipe sitzen. Ich bin der Kellner, der dafür sorgt, dass sich niemand langweilt und alle genug zu trinken haben. Und am Ende kommt die Rechnung. Hoffentlich bekomme ich Trinkgeld.

 

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