Mein Dienstag

Liebe ohne Leiden

Bea (Sydney Sweeney) und Ben (Glen Powell) in dem Film „Wo die Lüge hinfällt“, der derzeit im Kino läuft.
Bea (Sydney Sweeney) und Ben (Glen Powell) in dem Film „Wo die Lüge hinfällt“, der derzeit im Kino läuft.Sony
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Die Strahlkraft einer heilen, sicheren Welt ist immer noch beachtlich. Der Film dazu heißt „Wo die Lüge hinfällt“.

Es gibt da diese Szene in dem Überraschungshit „Wo die Lüge hinfällt“, der derzeit im Kino läuft. Die Mittzwanzigerin Bea verrät ihrem neuen Freund Ben in einem intimen Moment, dass sie ihr Jusstudium abgebrochen hat und nicht weiß, wie sie das ihrer Familie sagen soll. Ben spricht ihr Mut zu. Ihre Familie werde das schon verstehen.

Damit es keine Missverständnisse gibt: Die Familie ist sehr wohlhabend, Bea befindet sich nicht etwa in einer Notlage, sie scheut sich einfach nur davor, diese – wenn man so will – persönliche Niederlage einzugestehen. Und eigentlich weiß sie auch, dass ihre Sorge unbegründet ist und ihre Eltern gelassen reagieren werden – was sie dann auch tun. Meiner Meinung nach ist die außergewöhnlich heile Welt, die in diesem Film gezeigt wird, einer der Gründe für seinen Erfolg.

Eine Welt, die von mir so weit weg ist wie eine späte Laufbahn als Tennisprofi. Selbiges trifft auf all meine engen Freunde zu – für uns wäre es eine existenzielle Katastrophe gewesen, mit Anfang/Mitte 20 unser Studium hinzuschmeißen und ein anderes zu beginnen. Unsere Ausgangslage war eine ganz andere als die von Bea.

Wir sind ohne soziales Kapital aufgewachsen, unsere Lebens- und Karriereplanung begann ohne finanzielles Polster und ohne langfristige Strategie. Wir hatten nicht die Möglichkeit, in der Oberstufe und im Studium Auslandssemester zu absolvieren. Für uns wurde nicht die Miete übernommen und Taschengeld zur Verfügung gestellt, damit wir uns auf unsere Ausbildung konzentrieren können, ohne nebenher zu arbeiten. Uns wurden keine Praktika finanziert, um herauszufinden, welcher Beruf am ehesten unseren Vorstellungen entspricht. Wir wurden in keine Netzwerke eingeführt, um Mentoren kennenzulernen. Wir sind nicht mit der Gelassenheit groß geworden, ein Studium, das uns nicht mehr gefällt, jederzeit abbrechen und ein neues beginnen zu können. Uns hat niemand auf einer Bühne Liebe ohne Leiden gewünscht und uns damit unerschütterliches Urvertrauen mitgegeben.

Wir sind die Antithese zu Bea. Sicherheit ist uns wesensfremd. Wir springen immer ohne Netz. Und ich persönlich bin sehr glücklich damit.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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