Am Herd

Die Wahrheit ist, wenn man nicht gerade vor Gericht steht, mittlerweile egal

Ich bin für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber politischen Lügen. Es darf nicht sein, dass wir das permanente Verdrehen von Fakten für völlig normal halten. 

Ich habe nichts gegen Lügen an sich. Dafür habe ich selber schon zu viel gelogen. Ich habe meinen Eltern erklärt, dass ich garantiert, also echt nicht, am Nachmittag ferngesehen habe, keine Ahnung, warum das Gerät so warm ist. Ich habe dem Lehrer gegenüber beteuert, dass mir leider, leider, so schlecht ist, dass ich die Lateinschularbeit nicht mitschreiben kann, ich muss sofort aufs Klo. Ich habe meinem ersten Chef gegenüber so getan, als hätte die Rohrpost aus völlig mysteriösen Gründen mein Typoskript verschluckt, tatsächlich habe ich den falschen Knopf gedrückt. Und ich habe den Kindern gesagt, in diesem Meer gebe es keine Quallen, weil sie sonst den ganzen Urlaub über nicht ins Wasser gegangen wären.

Ich habe auch nichts gegen Politiker. Ich habe als Junge in der Uni-Politik dilettiert und das hat mir gereicht, ich bin froh, dass es Menschen gibt, die das beruflich machen.

Wer uns verwirrt, hat gewonnen

Aber ich habe etwas gegen politische Lügen. Gegen Lügen, die allein dem Machterhalt dienen.

Neulich hat ein ehemaliger Politiker in einem Interview erklärt, dass er in einem früheren Interview deshalb nicht ehrlich gewesen sei, weil die Wahrheit zu kompliziert sei. Man könne in so einer Situation halt nicht so weit ausholen, meinte er. Das fand kaum jemand seltsam, und viele haben ihm sowieso nicht geglaubt. Da sieht man, wo wir gelandet sind.

Die Wahrheit ist, wenn man nicht gerade vor Gericht steht, mittlerweile irgendwie wurscht. Dabei wissen wir meist eh genau, wer lügt und wer nicht, weil sich manche dabei nicht einmal mehr Mühe geben. Das haben sie sich von Trump und Putin abgeschaut, die sagen einfach irgendwas, auch wenn es ganz offensichtlich und leicht nachweisbar falsch ist: Es gibt immer welche, die ihnen glauben, und wenn man noch jene dazuzählt, die sich anschließend nicht mehr sicher sind, was sie glauben sollen, haben sie schon gewonnen. Ein bissl Verwirrung reicht.

Seit Evas Schlange

Und es reicht auch deshalb, weil wir anderen dann einfach mit den Schultern zucken. Weil doch eh alle lügen (stimmt nicht), man da nix machen kann (stimmt nicht) und es immer schon so war. Was ebenfalls nicht stimmt, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Außerdem: Wenn alles okay ist, was andere vorher schon gemacht haben, ist jede Lüge seit Evas Schlange und jeder Mord seit Kain lässlich.

Ich bin jedenfalls für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber politischen Lügen. Auch gegenüber jenen, die uns gerade in den Kram passen, weil sie unsere Meinung bestätigen. Und beim nächsten Faktencheck sollten wir wieder genauer hinschauen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com
www.diepresse.com/amherd

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