Culture Clash

Umweltaktivisten: Zuhören – und sanktionieren!

Ein Bericht der Vereinten Nationen zu Umweltaktivisten fordert so etwas wie einen Rechtsanspruch auf straffreien Rechtsbruch – für manche. Das kann nicht gut gehen.

Der Franzose Michel Forst hat kürzlich seinen Bericht als „UN-Sonderberichterstatter für Environmental Defenders auf Basis der Aarhus-Konvention“ vorgelegt: „Staatliche Unterdrückung von Umweltprotesten und zivilem Ungehorsam – eine große Gefahr für Menschenrechte und Demokratie“. Hier wird das Schwächeln unserer transnationalen Einrichtungen greifbar.

Das beginnt damit, dass in Österreich überhaupt nur zwei Medien über den Bericht berichtet haben. Wer kennt auch schon die Aarhus-Konvention, die von 47 europäischen und transkaukasischen Staaten ratifiziert wurde (und – versehentlich? – auch von Guinea-Bissau)? Jedenfalls listet Forst eine wachsende Zahl überschießender staatlicher Reaktionen auf, etwa die tatsächlich übergriffige Sicherungshaft in Bayern oder Ermittlungen gegen die Letzte Generation wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Darauf zu schauen, ist gut.

Problematisch ist aber die im Report zutage tretende Logik: Die UNO hat 2022 ein „Menschenrecht auf saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt“ postuliert. Also müsse jeglicher nicht in Körperverletzung ausartende Rechtsbruch zur Durchsetzung jeglicher Umweltmaßnahme als Einsatz für Menschenrechte straffrei bleiben: „Welche Formen auch immer ihre Aktionen annehmen – sie sind Umweltverteidiger, und es ist die Pflicht des Sonderberichterstatters, sie vor jeder Form der Bestrafung, Verfolgung oder Schikane zu beschützen.“ Die „einzige legitime Antwort“ auf ihre Proteste sei „zu realisieren, wie wichtig es für uns alle ist, ihnen zuzuhören“.

Gilt dasselbe, wenn jemand den Frühverkehr für eine Steuersenkung lahmlegt oder für die Aufhebung von Mietzinsobergrenzen? Auch sie könnten sich auf anerkannte Grundrechte berufen. Und was ist mit Leuten, deren Grundrechtsempfinden noch nicht in arkanen Konventionen von Unterpremstätten oder sonst wo kodifiziert worden ist? Werden sie es als gerecht empfinden, dass andere sie nötigen dürfen, sie selber aber niemanden? Darf denn jemand, der für das Recht auf kulturelle Kontinuität einen Einwanderungsstopp fordert, so lang Konzerte stören, bis man merkt, wie wichtig es für uns alle ist, ihm zuzuhören?

Wer die Existenz des Gewissens bejaht, wird auch ein moralisches Widerstandsrecht bejahen. Der Staat hat auf diese Motivik Bedacht zu nehmen und maßvoll einzuschreiten. Aber eben einzuschreiten – denn eine vorauseilende Generalamnestie für Verfechter eines einzelnen Anliegens würde das Vertrauen aller anderen in die staatliche Gerechtigkeit untergraben. Auch das wäre eine Gefahr für die Demokratie.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

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