Gastkommentar

Jetzt is’ er weg, der Dollfuß

Der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß bei einem Aufmarsch der Heimwehr in Innsbruck ein paar Wochen bevor er von österr. Nationalsozialisten ermordet worden ist (25.07.1934). Rechts neben Dollfuß der bei einem vorhergehenden Attentatsversuch verletzte Heimwehrführer Dr. Richard Steidle..
Der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß bei einem Aufmarsch der Heimwehr in Innsbruck ein paar Wochen bevor er von österr. Nationalsozialisten ermordet worden ist (25.07.1934). Rechts neben Dollfuß der bei einem vorhergehenden Attentatsversuch verletzte Heimwehrführer Dr. Richard Steidle..Scherl
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Replik auf diverse Texte zum Dollfuß-Museum in Texting. Links sozialisierte Publizisten und Historiker hängen eher an einem „präsenten Dollfuß-Vermächtnis“ als Bürgerliche.

Mit Bedauern haben manche Historiker auf die Entnahme und Sicherung der Leihgaben des Dollfuß-Museums im Mostviertel durch die NÖ Landessammlungen reagiert. Der teils heftige Aufschrei stellte eindrucksvoll unter Beweis, dass links sozialisierte Publizisten und Historiker oftmals leidenschaftlicher an einem „präsenten Dollfuß-Vermächtnis“ hängen, als dies bei dem sogenannten bürgerlichen Element in diesem Land der Fall ist.

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Seit Jahrzehnten wurde auf bürgerlicher Seite die österreichische Zwischenkriegszeit verstärkt einer selbstkritischen Reflexion unterzogen. Längst erscheint die überfällige Abnahme des Gemäldes von Engelbert Dollfuß im ÖVP-Parlamentsklub in Wien als Common Sense. Es herrscht die klare Überzeugung vor, dass die politischen Weichenstellungen und die autoritäre Machtausübung durch Dollfuß in den Jahren 1932 bis 1934 mit dem parlamentarischen und demokratischen Verständnis der Gegenwart unvereinbar sind. Leopold Figl betonte bereits im Februar 1946, dass sich die 1945 gegründete Volkspartei von den Vorgängen des Jahres 1934 klar distanziert. Alfons Gorbach (ÖVP) und Bruno Pittermann (SPÖ) haben schon 1964 von eigenen, beidseitigen Fehlern im Jahr 1934 gesprochen.

Die linken Versuche, die Dollfuß/Schuschnigg-Regierung als direkten Wegbereiter zum Nationalsozialismus zu deuten, fordern jedoch heute einen kompromisslosen Widerspruch des nicht sozialistischen Lagers heraus. Dem Sozialdemokraten Anton Pelinka sei Dank für die Einordnung des Begriffes „Faschismus“. Die unverhohlene sozialdemokratische Zielsetzung, einen „neuen Menschen“ schaffen und den kulturellen Bildungskanon durch sozialistische Prioritäten absolut ersetzen zu wollen, schürte Angst vor einem aggressiven Marxismus. Die Bedrohung durch eine linke Sammlung wurde 1934 bei zahlreichen Bürgerlichen als real empfunden. Eine „sozialistische Diktatur“ postulierte sogar die Sozialdemokratie.

Man sollte Motive benennen

Die aktuellen Angriffe sollen die bürgerlichen politischen Kräfte in eine anhaltende Rechtfertigungssituation bringen. War es nicht vielmehr die österreichische Sozialdemokratie, die längstens ab 1932 ein gewisses Verständnis für die Säuberungen in der Sowjetunion und besonders für die Vorgänge in der Ukraine hatte? Leitartikel in der sozialdemokratischen „Arbeiterzeitung“ lassen hier keine Zweifel an einem revolutionären Momentum bestehen. Trotz gelegentlicher Kritik an Stalin und der Sowjetunion in derselben Zeitung. Nach der Niederschlagung des Februar-Aufstandes flüchteten sozialistische Kämpfer und linke Agitatoren zu Hunderten in die Sowjetunion. Der Austromarxismus war nicht nur eine intellektuelle Spielart. Marxistische Strategieüberlegungen zur Erringung der Macht brachten eine Gewaltbereitschaft auf linker Seite zum Vorschein, die jetzt gern ausgeblendet wird. Die augenscheinliche Krise der Zwischenkriegszeit erreichte in den frühen 1930er-Jahren ihren leidenschaftlichen Höhepunkt. Beide großen politischen Lager befanden sich in einem Spannungsfeld der moderaten Parteigänger und der extremen Positionen. Beide Lager mussten ihre Ränder in Zaum halten, deren Protagonisten eine klare Entscheidung suchten. Beide Parteien sind schließlich in dieser Frage gescheitert. Es geht nicht darum, einzelne Personen (und deren museale Relikte) „abzuwickeln“, zu dämonisieren, und schon gar nicht, sie in Einzelbereichen zu re­habilitieren. Es geht darum, Mo­tive – ehrliche wie verwerfliche – auf allen Seiten ungeschönt zu benennen.

Johannes Schönner leitet das Archiv des Karl-von-Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich.

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