Gastkommentar

EU und Neutralität: Beistand oder kein Beistand?

(c) Peter Kufner
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Österreich darf mehr, als es tun will. Das sollte ÖVP-Verteidigungsministerin Klaudia Tanner eigentlich wissen.

Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) meinte kürzlich, Österreich dürfe einem anderen EU-Mitglied im Falle eines Angriffs nicht militärisch beistehen. Die Neutralität ermögliche nur andere, allen voran humanitäre Hilfsleistungen. Das ist jedoch kein rechtliches, sondern ein politisches Argument. Österreich darf mehr, als es tun will.

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Es sind solche sicherheits- und verteidigungspolitischen Gretchenfragen, die Österreich seit Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen beschäftigen: Wie verhält sich die Neutralität zur innereuropäischen Solidarität? Hier stehen sich zwei Konzeptionen gegenüber: Im traditionell-völkerrechtlichen Sinne verlangt Neutralität, sich weder direkt noch indirekt an zwischenstaatlichen Kriegen zu beteiligen und die Konfliktparteien gleich zu behandeln. Bei „immerwährend“ neutralen Staaten kommt die Verpflichtung hinzu, sich keinem Militärbündnis anzuschließen und auf dem eigenen Gebiet keine dauerhaften Stationierungen fremder Armeen zuzulassen.

Die Neutralität wurde nicht abgeschafft

Österreichs Neutralität hat sich von diesem Gedanken mittlerweile weit entfernt: Zum einen, weil die Weltlage heute eine andere ist, der „eiserne Vorhang“ ist offenen Grenzen gewichen, die Sowjetunion hat sich aufgelöst und mit China gibt es eine neue Großmacht. Zum anderen – und als Folge dieser Entwicklungen –, weil Österreich seit bald 30 Jahren Mitglied der EU und also Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist. Damit wurde die Neutralität nicht abgeschafft, im Gegenteil: Österreich kann sich aus einzelnen Maßnahmen herausnehmen, etwa bei der Finanzierung von Waffen für die Ukraine. Der Unterschied ist, dass es das nicht muss. Vielmehr hat sich der politische Handlungsspielraum mit der EU-Mitgliedschaft erweitert. Ob und wie man ihn nutzt, entscheidet Österreich. Es ist eine Art Neutralitätshybrid, weder völlig frei noch – sobald die EU handelt – allzu streng gebunden.

Können und dürfen

Das betrifft auch die schwierige Frage, wie man mit einem Angriff auf Länder wie Polen, Litauen oder gar Deutschland (man denke an die dortige „Kriegspartei“-Debatte) um­gehen würde. Auch hier hat die EU-Mitgliedschaft die alte völkerrechtliche Neutralität modifiziert – was niemanden gestört hat, auch Russland nicht. Österreich dürfte militärischen Beistand leisten, sei es durch Waffenlieferungen oder die Entsendung eigener Soldaten. Das wäre zwar nicht neutral, aber, um in der EU-Terminologie zu bleiben, solidarisch. Umgekehrt darf man sich fragen, wie es innerhalb der EU aufgefasst wird, wenn Österreich bestimmte Formen der Unterstützung pauschal ausschließt.

Dabei entspricht die im „Falter“ getätigte Aussage der Verteidigungsministerin unserem kollektiven Wunschdenken: Heraushalten und dafür in Ruhe gelassen werden, so die Hoffnung. „Wer sollte uns schon angreifen, wir greifen ja auch niemanden an“ lautet die Devise. Nur: Konventionelle militärische Angriffe sind nur eine Erscheinungsform moderner Kriegsführung. Es gibt unzählige Möglich­keiten, Zwang anzuwenden: von der gezielten Beeinflussung und Destabilisierung der Öffentlichkeit durch soziale Medien über wirtschaftlichen Druck (Österreichs Gas-Achillesferse) bis hin zu Cyber-Attacken.

Vielleicht sollte die Verteidigungsministerin klarstellen, dass Österreich im Falle eines Falles keine militärische Hilfe von anderen erwartet. Wer nur wenig gibt, sollte auch nur wenig nehmen.

Ralph Janik (*1985) forscht an der Sigmund-Freud-Privatuniversität zu Völkerrecht und internationale Beziehungen.
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