Mein Dienstag

Heuchelei, Maßlosigkeit, #MeToo: Lest Molière!

Von Frankreichs größtem Dichter lässt sich heute so viel lernen wie vor 350 Jahren.

Die Scheinheiligkeit ist ein Modelaster, und alle Modelaster gelten als Tugenden: So lässt Molière seinen Don Juan im Stück „Dom Juan“ sprechen, und ehe wir auf diese Einsicht eingehen wollen, sei ein via Wikipedia verbreiteter Irrtum zerstreut: Das Stück heißt, im Gegensatz zu seinem Protagonisten, nicht deshalb „Dom Juan“, weil „Dom“ die portugiesische Form des „Herrn“ ist, sondern, weil man das im Frankreich des 17. Jahrhunderts so gesagt und geschrieben hat – das eigentliche, dem ursprünglichen Text getreue Stück aber nach nur 15 Aufführungen 1665 erst im Jahr 1841 wieder auf die Bühne kam. Und dar war aus „Dom“ schon „Don“ geworden. Ich darf das, auch wenn ich kein Theaterwissenschaftler bin, mit Gewissheit schreiben, denn ich habe mir den Originaltext aus der exzellenten Reihe des „Univers des lettres Bordas“ in meiner öffentlichen Bibliothek in Brüssel ausgeborgt. Anlass war ein Gastauftritt des wunderbaren „Nouveau Théâtre populaire“, einer freien Theaterkompagnie, die seit 15 Jahren im 1000-Einwohner-Weiler Fontaine-Guérin nahe Angers an der Loire ein fantastisches Theaterfest veranstaltet.

Was für eine Freude, diese Inszenierung! Und wie lohnend ist es, diesen barocken Text zu Hause noch einmal in Ruhe zu lesen. Denn die Welt Molières, unter Louis XIV., sie war der unseren gar nicht so unähnlich. Der gewissenlose Schürzenjäger Don Juan ähnelt ­jenen, wie man heute sagt, toxischen Männern, die als selbst ernannte „Pick-up-Artists“ Frauen und Mädchen zu Trophäen ihrer maßlosen Eitelkeit erniedrigen. Wo (Achtung, Spoiler Alert) Molières Herr Johann jedoch von der Hand der Statue des Komtur seine verdiente Strafe erfährt, erwischt es seine heutigen Widergänger unter dem Zeichen von #MeToo. Vielleicht täten die Don Juans und Don Giovannis damals wie heute gut daran, auf die Warnungen ihres treuen Dieners Sganarelle (Mozarts Leporello) zu hören.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

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