Gastkommentar

Wieso ein Zitierverbot für Medien ein Problem wäre

(c) Peter Kufner
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Bis 30. Juni 2024 muss die Reparatur des Medienprivilegs erfolgen. Das wird eng. Passiert nichts, hat das ernste Folgen für die Pressefreiheit.

In der Politik sind Tauschgeschäfte, gerade unter Regierungsparteien, üblich. Will die eine an einer Stelle etwas durchsetzen, muss sie der anderen an anderer Stelle entgegenkommen. So weit, so normal. Dieses politische Geschäft kann jedoch so nicht funktionieren, wenn eine der beiden Positionen gar nicht verhandelbar ist, weil sie durch geltendes Recht zwingend vorgegeben ist. Dann wird das Tauschgeschäft zum Taktikspiel, zu einer Machtdemonstration oder zu einem „anything goes“, das dem Rechtsstaat schadet. Es sieht so aus, als würden wir so etwas gerade erleben.

Artikel 85 Abs. 1 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) lautet nämlich: „Die Mitgliedstaaten bringen durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten […]  mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit […] in Einklang.“ Erforderlich ist, wie unmittelbar einsichtig, eine Rechtsvorschrift, ein sogenanntes Medienprivileg; also ein Gesetz, das ein Grundrecht – Meinungs- und Informationsfreiheit – mit einem anderen – Datenschutz – in Ausgleich bringt. Das ist eine zwingende, nicht verhandelbare Verpflichtung für jeden Mitgliedstaat. Zweierlei ist daher verboten: Nichtstun einerseits und die komplette Verdrängung des einen Grundrechts durch das andere andererseits.

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Der erste österreichische Versuch zur Wahrnehmung dieser Verpflichtung in Form des § 9 Abs. 1 Datenschutzgesetz (DSG) verstieß kraft Inkrafttretens in allerletztmöglicher Minute zwar nicht gegen das erste, sehr wohl aber gegen das zweite Gebot: Er brachte nichts in Einklang, sondern agierte wie die Axt im Walde. Die österreichische Bestimmung, die auf umfangreiches Lobbying durch Medienunternehmen zurückzuführen sein soll, war einerseits viel zu eng, weil sie nur klassische Medienunternehmen erfasst, nicht aber Blogger, BürgerjournalistInnen usw. Andererseits war sie aber auch viel zu weit, weil sie die Anwendung der DSGVO und des DSG für Medienunternehmen einfach insgesamt (so gut wie) komplett ausschloss.

Für Reparatur war Zeit genug

Es war deshalb in keiner Weise überraschend, dass der VfGH diese Rechtswidrigkeit am 14. Dezember 2022 auch feststellte. „Der in § 9 Abs. 1 DSG normierte, absolute und gänzliche – und damit undifferenzierte – Ausschluss der Anwendung aller (einfachgesetzlichen) Regelungen des Datenschutzgesetzes sowie der [DSGVO] auf […] Datenverarbeitungen zu journalistischen Zwecken […] widerspricht dem […] Erfordernis, dass der Gesetzgeber das Interesse am Schutz personenbezogener Daten mit dem Interesse […] im Rahmen […] journalistischer Tätigkeit sachgerecht abzuwägen hat. […] § 9 Abs. 1 DSG erweist sich daher aus den dargestellten Gründen als verfassungswidrig.

Der VfGH sah, wie dies nicht unüblich ist, eine mehr als achtzehnmonatige Übergangsfrist bis zum 30. Juni 2024 zur Reparatur dieser Verfassungswidrigkeit vor, um dem Gesetzgeber ausreichend Zeit für eine wohlüberlegte Neufassung zu geben. Denn es geht um komplizierte Fragen der Abwägung zwischen konfligierenden Grundrechten. Bis dahin gilt die bisherige Rechtslage weiter.

Die achtzehnmonatige Reparaturfrist wurde jedoch bisher nicht genutzt. Seit Dezember 2022 können sich Medienunternehmen damit weiterhin auf ein Medienprivileg berufen, das als verfassungswidrig längst festgestellt ist – und damit im Ergebnis weiterhin so tun, als gälten für sie die DSGVO und das DSG nicht.

Strafrechtliches Zitierverbot ist problematisch

Nun gibt es zwar, wie man hört, spät, aber doch, einen internen ­Gesetzgebungsreparaturvorschlag der zuständigen Justizministerin, der aber bisher nicht öffentlich ist. Ob sich eine termingerechte und ausreichende Reparatur in den letzten drei Monaten der Frist noch realisieren ließe, wäre daher vermutlich selbst dann ungewiss, wenn die Koalitionsparteien ab sofort an einem Strang zögen und den parlamentarischen Prozess umgehend – am besten heute – begännen. Was jedoch derzeit zu geschehen scheint, ist eine in einem Artikel der „Presse“ vom 26. Dezember 2023 durch die weder für den Datenschutz noch für das Strafprozessrecht zuständige Verfassungsministerin bereits angekündigte Verknüpfung der Reparatur des Medienprivilegs einerseits mit etwas ganz anderem, nämlich einem strafrechtlichen Zitierverbot, andererseits.

Angeblich – so schreibt der „Falter“ – soll es die Zustimmung der ÖVP zum einen, zwingend Erforderlichen, nicht ohne Zustimmung zum anderen – vorsichtig gesagt: umstrittenen – Vorhaben geben. Es gebe, so hört man, eine Junktimierung. Und da es gute politische und noch bessere rechtliche Gründe gibt, ein strafrechtliches Zitierverbot für problematisch zu halten [1], und sich in den letzten Monaten an diesen Gründen nichts geändert hat, mag darin der Grund zu suchen sein, dass auch seit der Lancierung des möglichen Junktims vor bald drei Monaten in Sachen Medienprivileg nichts in der Öffentlichkeit Erkennbares geschehen ist.

Wir fassen zusammen: Seit Mai 2018 – also seit fast sechs Jahren – hätte es eine bereits 2016 – vor acht Jahren – eingeführte, 2012 – vor zwölf Jahren – vorgeschlagene Verpflichtung gegeben, die Medienfreiheit mit dem Grundrecht auf Datenschutz in rechtskonformen Einklang zu bringen. Diese Verpflichtung blieb bisher unerfüllt.

Seit Dezember 2022 – also seit 15 Monaten – besteht eine Verpflichtung, einen höchstgerichtlich festgestellt verfassungswidrigen Zustand zum Medienprivileg zu reparieren. Auch diese Verpflichtung blieb bisher unerfüllt.

Stimmen die Informationen zum Junktim und passiert bis zum 30. Juni 2024 weiterhin nichts, weil die Justizministerin und/oder das Parlament einem strafrechtlichen Zitierverbot trotz des Junktims nicht zustimmen – wofür sehr gute Gründe sprechen –, dann ist § 9 Abs. 1 DSG endgültig und ersatzlos außer Kraft. Das bedeutet, dass es dann kein datenschutzrechtliches Medienprivileg mehr gibt. Österreich kippt dann von dem einen Extrem – fast komplette Verdrängung des Datenschutzes im Medienbereich – in das andere – fast kom­plette Verdrängung der Informations- und Meinungsfreiheit. Das wäre ebenfalls ein unhaltbarer Zustand und würde die ohnehin schon angeschlagene Meinungs- und Informationsfreiheit in Österreich weiter schädigen: Wie soll, zum Beispiel, Investigativjournalismus funktionieren, wenn der, gegen den recherchiert wird, Auskunft zur Recherche verlangen, dieser widersprechen und Löschung beantragen könnte? Wie soll die Datenschutzbehörde mit (ggf. strategisch koordinierten) massenhaften Beschwerden gegen Medienunternehmen umgehen können? Wie soll ein Recht auf Vergessenwerden durch ein Medienunternehmen realisiert werden? Und so weiter. Die Konsequenzen wären ebenso weitreichend wie absurd wie rechtswidrig.

Andauernde Ignoranz europa- und verfassungsrechtlich zwingender Vorgaben

Das sind keine Kleinigkeiten. Wir erleben, wenn nicht sehr bald die Reform des Medienprivilegs in die Gänge kommt, die bewusste Inkaufnahme einer offensichtlichen und andauernden Ignoranz europa- und verfassungsrechtlich zwingender Vorgaben an den sensibelsten Stellen unseres Staates in (doppelten) Vorwahlzeiten. Wie soll man so Vertrauen in den Rechtsstaat aufrechterhalten können?

[1] https://www.profil.at/meinung/nikolaus-forgo-warum-edtstadlers-aktenzitierverbot-unsinn-ist/402669187

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Der Autor

Univie/Digigov

Prof. Dr. Nikolaus Forgó (*1968) ist Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht an der Universität Wien und Expertenmitglied des Datenschutzrats der Universität Wien. Er betreibt seit einigen Jahren auch den Podcast Ars Boni auf dem YouTube-Kanal seines Instituts. Darin geht es u.a. um rechtliche Fragestellungen in der Technologie- und Medienbranche, um Qualitätsjournalismus, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, KI und viele andere spannende Themen.

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