Sacred Modernity
Fotoausstellung

Kirchen und Architektur: Geheiligt seien die Mittel

Fassen, was unfassbar ist: Der Fotograf Jamie McGregor Smith versucht es visuell. Mit einer Ausstellung zu Kirchen der Architekturmoderne.  

Es sind Majestäten aus Beton. Zauberorte des Lichts. Und wenn eine himmlische Macht die Prämisse der Kirchenarchitektur sein soll, dann ist sie seit den 1960ern besonders brachial auf der Erde eingeschlagen. Nicht nur Gott soll seine Allmächtigkeit ganz konkret gestalterisch andeuten. Auch die Architektur selbst demonstriert das manchmal faszinierend Unerklärliche: Wie ihre Formen, Dimensionen, Kompositionen, Materialien, und Räume wirken – auf die Menschen, ihre Wahrnehmung und Gefühle. Sodass man sich beinahe wie von selbst innerlich verneigt, ob man religiös ist oder nicht, vor der visuellen und atmosphärischen Wucht der Eindrücke.

In keiner anderen Typologie verdichten sich anthropologische Grundkonstanten der Architektur so sehr wie in Kirchen: Licht und Schatten, höhlenartige Geschlossenheit und Offenheit, die Sehnsucht nach irdischer Geborgenheit und himmlischer Erlösung zugleich. Die Architektur wagt die unmögliche Aufgabe: das Unendliche, das Unvorstellbare zu materialisieren – in menschlichen Entwürfen. Und irgendwann steht auch ein Fotograf staunend und ehrfürchtig davor und versucht dasselbe: das Unfassbare zu fassen – zum Beispiel Jamie McGregor Smith. Und diesen Versuch hat der britische Fotograf, der in Wien lebt, so oft wiederholt, an unterschiedlichsten Stellen Europas, bis ein Buch und eine Ausstellung daraus wurden: „Sacred Modernity“ heißt der Band, der bei Hatje Cantz erschienen ist. Und auch die gleichnamige Ausstellung in der TVFA-Halle der TU Wien, die bis 4. April läuft, dokumentiert eine fotografische Reise, die McGregor Smith vor allem auch zu einigen tief philosophischen Fragen geführt hat.

Die „Wotrubakirche“ in Wien-Mauer nach einem Entwurf von Fritz Wotruba und Fritz G. Mayr, vollendet 1976. 
Die „Wotrubakirche“ in Wien-Mauer nach einem Entwurf von Fritz Wotruba und Fritz G. Mayr, vollendet 1976. JAMIE MCGREGOR SMITH

Paradigmenwechsel

In Wien hatte Jamie McGregor Smith seinen Erstkontakt mit sakraler Nachkriegsmoderne auf dem Georgenberg im 23. Bezirk. Dort steht die „Wotrubakirche“. Riesige Betonklötze, geschichtet zu einer Kirchenskulptur, nach einer Idee des Bildhauers Fritz Wotruba. Und schon war Smith der eindringlichen ästhetischen Wucht des ­Sakralbaus verfallen, schon war er innerlich aufgebrochen zu einer Reise, die ihn später quer durch Mitteleuropa und Italien führen sollte, mit Schlenkern auch nach Großbritannien, Exkursen nach Portugal, Tschechien und Polen. Eine Reise auf der „Suche nach dem Unaussprech­lichen“, wie Smith selbst in einem Essay im Buch schreibt. „Ich bin fasziniert von diesem Konzept des ‚ineffable‘, dass die menschliche Sprache nicht dazu taugt, die Anmut und die Macht Gottes überhaupt zu beschreiben“, erzählt Smith. Abbilden in Kirchen sollte sich beides trotzdem. Auch in einer Ära, in der die Architekturmoderne eine Typologie völlig neu formulierte. Und das neu aufgesetzte Selbstverständnis der katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gleich mit. Die Liturgie war nun eine andere, und auch die Architektur, tief raumsymbolisch, wandte sich der Gemeinde zu, gemäß des Prinzips „Celebratio versus populum“.

Und das alles in einer Phase, in der sich nach der Agonie des Zweiten Weltkriegs die ganze Welt die Sinnfrage zu stellen schien. In der sich Paradigmen auf den Kopf stellten. Und Glaubensbekenntnisse umschlugen: zugunsten des Autos, des Verkehrs, des Fortschritts, aber auch der Zukunft und eben der Moderne. Daran wollte man glauben. Die Architektur half mit. Auch dabei, die Kirche in der Gesellschaft neu abzubilden. Mit neuen innovativen Bautechnologien. Und vor allem auch: viel, viel Beton. Ein brachial-brutalistisch exekutierter Optimismus. „An kaum anderen Gebäuden zeichnet sich dieser Wandel so deutlich ab wie an den katholischen Kirchen in Mitteleuropa“, sagt Smith.

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