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Der Erzähler ging mir auf die Nerven – Ein Journalist beschreibt, wie es war, den ersten Roman zu schreiben

Erst spät begriff ich: Meine Leser mussten von mir befreit werden.
Erst spät begriff ich: Meine Leser mussten von mir befreit werden.Giorgio Fochesato/Picturedesk
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Das erste Problem war der Schluss. Er machte mir schon vor Beginn des Schreibens Sorge. Eintauchen in eine andere Zeit, ein anderes Denken, eine andere Mode, das sollte funktionieren. Wie konnten diese Fäden zu einem Ende zusammengewirkt werden?

Das Rohmanuskript ist fertig. Ich warte. Thomas, ein guter Freund und erfahrener Schriftsteller, war bereit, es zu lesen. Was für ein Urteil wird er fällen?

Die Unsicherheit ist wieder stärker geworden. Was, wenn Thomas alles infrage stellt, mir erklärt, warum das Manuskript nicht funktioniert? Ich kann nicht mehr zurück. Viele Monate liegen hinter mir – die Konzeption, die Recherchereise, die ersten Zeilen und Hunderte Stunden vor dem Computer. Ich will das alles nicht missen: die Erfahrungen und die Erkenntnisse, die immer wiederkehrenden und letztlich überwundenen Krisen.  

Das erste Problem – so seltsam das klingen mag – war der Schluss. Er machte mir schon vor Beginn des Schreibens Sorge. Loslegen, das sollte ja gehen. Eintauchen in eine andere Zeit, ein anderes Denken, eine andere Mode, das sollte funktionieren. Aber dann, wie konnten all diese Fäden zu einem Ende zusammengewirkt werden?

Professionell eine Geschichte zu erzählen und zu Ende zu führen haben wir im Journalismus gelernt. Das ist reines Handwerk. Ein gutes Handwerk, das hilft. Aber einen Artikel zu schreiben funktioniert anders, als einen Roman zu verfassen. Und die Länge ist dabei das geringste Problem. Allein der Wechsel von Fakten zur Fiktion ist ein riesiger Schritt.

Zuerst zu den Schauplätzen, dachte ich mir. Ich besuchte das Haus in Ottakring, wo einst die Lusterwerkstatt war. Ich besuchte das Café Prückel, die Universität für angewandte Kunst, reiste zum alten Wohnhaus nach Aussig, weiter nach Berlin, zum Bauhaus nach Weimar und Dessau. Dann kamen neue Schauplätze hinzu: die Heubergsiedlung in Wien-Dornbach, der damalige Sommerfrischeort Piesting in Niederösterreich und ein Ort, den es in seiner ursprünglichen Form nicht mehr gibt: das Café Schweden am Wiener Schwedenplatz. Das Lokal wurde zu Ende des Zweiten Weltkriegs in Schutt und Asche gebombt. Aber es gibt historische Aufnahmen davon, Zeitungsberichte. In meinen Gedanken stehe ich statt vor dem Eingang in die U-Bahnstation vor dem Eingang ins Café.  

Weil mir die Fiktion noch als unsicheres Terrain erschien, verkroch ich mich lange – vielleicht allzu lange – zwischen Fakten. Die schönsten und ruhigsten Orte dieser Recherchearbeit waren die Archive. Sie boten noch und noch Informationen, die es wert erschienen, berücksichtigt zu werden. Sie eigneten sich als wunderbare Kulisse. Doch bald wurde mir klar: Sie ersetzen nicht die Erzählung mit ihren Strängen, die Protagonisten mit ihren Charakteren. Ich musste es schaffen, diese beruflich erlernten Haltegriffe endlich loszulassen.

Der Duft von Lavendel

Ich wollte es sanft angehen. Ein alter Schreibtisch im Haus auf dem Land mit Blick auf die Ausläufer der Alpen, drinnen klassische Musik, der Duft von Lavendel und ein Mac-Book. Dann schien alles wunderbar – der Blick, der Duft, die Technik. Aber nichts passierte. Nichts. Kein kreativer Gedanke entstand, nichts floss. Alles stockte. 

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