Kärnten

Rechtfertigung eines Konsenspolitikers

Sturm übermalte einst Ortstafeln zweisprachig
Sturm übermalte einst Ortstafeln zweisprachig(c) AP (Gert Eggenberger)
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Marjan Sturm, ehemaliger Obmann des Zentralverbands der Kärntner Slowenen, erklärt, warum er auf Aussöhnung mit dem politischen Gegner setzt.

Mehr als 50 Jahre lang hat Marjan Sturm die Politik der slowenischen Volksgruppe in Kärnten mitbestimmt. Erst als linker Schüler, der Ortstafeln in nächtlichen Aktionen zweisprachig übermalte und so das Recht der Minderheit auf zweisprachige topografische Aufschriften wieder an die Öffentlichkeit brachte. Dann als Funktionär und langjähriger Obmann des Zentralverbands slowenischer Organisationen – das ist die politisch linksgerichtete Organisation, es gibt auch noch den katholischen Rat der Kärntner Slowenen. Und schließlich als „Konsenspolitiker“: Er gehörte zu jenen, die den Ortstafelkompromiss ausverhandelten und einen Dialog mit dem deutschnationalen Kärntner Heimatdienst einleiteten.

Dieser Weg stößt in der slowenischen Volksgruppe nicht nur auf Zustimmung: Die Versöhnung mit dem Heimatdienst, der jahrzehntelang gegen die Rechte der Minderheit angekämpft hat, stößt bei vielen auf Verwunderung oder offene Ablehnung. Und den Ortstafelkompromiss halten viele für falsch: Die Kärntner Slowenen hätten dadurch viel weniger bekommen, als ihnen rechtlich eigentlich zustünde.

„Identität ohne Feindbild“ heißt das Buch, in den Sturm nun beschreibt, was ihn dorthin geführt hat. Es geht „um eine Selbstreflexion der eigenen individuellen Lernprozesse“. Sturm beschreibt seine Sozialisation im slowenischen bäuerlich-katholischen Umfeld, in einer Familie, die in der NS-Zeit viel Leid erfahren hat. Seine Jugend im slowenischen Gymnasium und in einer sozialistischen Schülerorganisation; seine stundenlangen Verhöre durch die Polizei nach den Ortstafelbeschriftungen; seine Rolle als Minderheitenpolitiker und schließlich den Wandel in Richtung Konsens und Dialog.

Kritische Reflexion

Hass und Rachegefühle seien leichter zu entwickeln und zu nähren als eine Haltung, die den Dialog sucht, schreibt er und zitiert einen südafrikanischen Psychologen, der zum Thema Apartheit geschrieben hat: „Einer der bekannten Gründe, warum wir uns selbst durch Wut von denen distanzieren, die uns oder andere verletzt haben, ist die Angst, dass wir unsere moralische Alleinstellung aufgeben.“

Sturm reflektiert seine eigene Rolle in den vergangenen Jahrzehnten durchaus kritisch. Auch die Eliten der slowenischen Volksgruppe inklusive seiner Person hätten ein Interesse am Konflikt gehabt. „Ein paar haben das Interesse, dass der Konflikt bleibt, und auch ich habe lang an das Prinzip alles oder nichts geglaubt und dadurch an der Verlängerung des Konflikts mitgewirkt.“ Er sei aber zu der Ansicht gekommen, dass eine Transformation des Konflikts mehr Lebensqualität bietet – für sich selbst und für die ganze Gesellschaft.

Und die Zukunft der Kärntner Slowenen? Da plädiert Sturm dafür, komplexe Identitäten aufzubauen. Die Kärntner Slowenen brauchten sich den kulturellen Elementen der Mehrheitsbevölkerung nicht verschließen und umgekehrt. Identität ohne Feindbild eben.

Marjan Sturm
„Identität ohne Feindbild“
Drava-Verlag
208 Seiten
24,90€

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