Wien-Konzert

Judas Priest in der Stadthalle: Testosteron-Töne gegen die Angst

Ein Mann spielt seine eigene Gitarre: „Richie Faulkner Flying V Custom“ heißt das Modell der Traditionsfirma Gibson, das Richie Faulkner, seit 2011 bei Judas Priest, spielt.
Ein Mann spielt seine eigene Gitarre: „Richie Faulkner Flying V Custom“ heißt das Modell der Traditionsfirma Gibson, das Richie Faulkner, seit 2011 bei Judas Priest, spielt.APA / Tobias Steinmaurer
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Der Metal dieser Band ist erfolgreich wie nie: 9000 entrückte Jung- und Altmetaller fanden sich wegen Judas Priest in der Wiener Stadthalle ein. Was ist ihr Geheimnis? 

Metalbands kehren so sicher immer wieder wie das Verdrängte in der Lehre Sigmund Freuds. Das zeigt schon ein Blick auf die österreichischen Charts. Nach sechsjähriger Pause legten Judas Priest mit „Invincible Shield“ Ende März ein Album vor, das sofort an die Spitze schoss. Ariana Grande und Norah Jones hatten das Nachsehen. In sieben Ländern wurde es Nummer eins. Wie ist es möglich, mit so einer abgenutzten Ästhetik so erfolgreich zu sein?

Die Antwort liegt auf der Hand. Die Magie liegt in der Überraschungsarmut dieses Genres. Die immergleichen Riffs, das unverdrossen testosteronhaltige Getrommel und das ewig schrille Geschrei. Metal, das ist Musik wie aus dem Bausatz. Ihn zu hören ist ein wenig wie in ein Kaleidoskop zu starren. Man erblickt Versatzstücke in unterschiedlichen, aber angenehm beschränkten Konfigurationen. Es ist genau diese Variation des Gleichen, die hier zutraulich macht.

Auch was die Adjustierung der Fans anlangt, sind die Gebote übersichtlich. Leder, Nieten, Kutte, allfällig ein solides Bierbäuchlein, schon ist Authentizität hergestellt. Wenn dazu noch lange Haare wehen, dann ist es ideal für diese hermetische Gegenwelt, in der Männer noch echte Männer sein dürfen, wenngleich sie bisweilen ein wenig an jene Gunstgewerblerinnen erinnern, die in den Siebzigerjahren am Wiener Gürtel flanierten.

Siebzigerjahre, das ist das Stichwort. Gegründet haben sich Judas Priest zwar schon 1968, damals noch als Bluesband. Einzig Bassist Ian Hill ist noch mit dabei. Der Bandname rührt vom Bob-Dylan-Song „The Ballad Of Frankie Lee And Judas Priest“ her. Das klingt heute kurios, damals war es schlüssig. Ein Song in der aktuellen Playlist, Peter Greens „The Green Manalishi (With The Two Pronged Crown)”, erinnerte an diesem Abend noch entfernt an diese Offenheit.

„Defenders of Metal“

Der „Invincible Shield“, der dem neuen Album den Namen gab, wurde erst am Schluss zur Brust genommen. Doch das ewige Glaubensbekenntnis von Judas Priest war vor Konzertbeginn auf einem riesigen Lappen zu lesen, der vor der Bühne hing: „United we stand, divided we fall, defenders of Metal for one and for all.” Die Autosuggestion der Unbesiegbarkeit ist Pflicht für angstgetriebene Altrocker. Gefährliche Riffs waren zu hören, dann fiel der Vorhang. Patinierte Gestalten standen da. Sänger Rob Halford hob sich mit Glatze und weißem Rauschebart von den anderen ab. Abgesehen von diesen Insignien der Reife strömte er höchste Vitalität aus. Sein heiserer Tenor, den er zeitweilig ins Kastratenfach quetschte, verfehlte seine Wirkung nicht. 9000 Jünger stachen frohgemut mit Fäusten in die Saalluft.

Volles Haus in der Wiener Stadthalle
Volles Haus in der Wiener StadthalleAPA / APA / Tobias Steinmaurer

Rockereltern wiesen ihre Kids ins Vergnügen ein, Rambazamba im Schutz der Masse zu machen: Metal ist eben auch Spaß für die gesamte Familie. Gruselspaß: Der Opener „Panic Attack“ malte das Bild einer umfassenden Bedrohung. „Alien nations gleam, cybertronic schemes, fibre optic, mass hypnotic, wild neurotic memes.” Angst musste niemand haben, denn Halford inszenierte sich als Mann der Übersicht, als Kraft, die inmitten des Tosens Ruhe bewahrt. Gitarrist Richie Faulkner bearbeitete emsig das nach ihm benannte Modell der „Flying V Custom“-Gibson-Gitarre (in der Farbe Pelham Blue).

Das V des Gitarrenkorpus kann auch als Victory gelesen werden. Denn als Sieg muss man es werten, wenn eine Band, die ihrem Reinheitsgebot von 1973 treu geblieben ist und damit ein halbes Jahrhundert später noch erfolgreich ist. Die Fans wogten in Wonne zu alten Krachern wie „Breaking The Law“ und „Painkiller“, wackelten aber auch zu den aggressiven Songs des aktuellen Werks. Unerwartetes Highlight war das selten gespielte „Love Bites“, ein Lied über die Berührungsfurcht der Menschen, über Liebesbisse „in the dead of the night“. Im Dunkeln ist eben nicht nur gut munkeln, sondern auch gut fürchten. Metal: das perfekte Trainingsprogramm zum Umgang mit Ängsten?

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