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Memoiren von Wolfgang Schäuble offenbaren Putschpläne gegen Merkel während Flüchtlingskrise

Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber anno 2002. Merkel war damals CDU-Chefin,  Stoiber Unions-Kanzlerkandidat, Schäuble in dessen Wahlkampfteam.
Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber anno 2002. Merkel war damals CDU-Chefin, Stoiber Unions-Kanzlerkandidat, Schäuble in dessen Wahlkampfteam. Imago / Thomas Imo
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Der im Dezember verstorbene CDU-Politiker berichtet in seinem demnächst erscheinenden letzten Buch, der frühere CSU-Chef Edmund Stoiber habe ihn angesichts Merkels folgenreicher „Wir schaffen das“-Politik zu deren Sturz und zur Nachfolge im Amt gedrängt.

Berlin/München. Der im Dezember verstorbene, legendäre deutsche CDU-Politiker Wolfgang Schäuble hat in seinen Memoiren offenbar von Bemühungen des seinerzeitigen CSU-Chefs Edmund Stoiber erzählt, ihn in der Flüchtlingskrise 2015 zum Sturz von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu bewegen.

In vom Magazin „Stern“ am Mittwoch veröffentlichten Auszügen schildert Schäuble (1942-2023), die Lage in der Union (CDU plus CSU) sei nicht zuletzt wegen des Ansturms Hunderttausender illegaler Migranten und Flüchtlinge mit Ziel Westeuropa, konkret vor allem Deutschland, Schweden und die Niederlande, im Herbst 2015 schwierig geworden. „Höhepunkt war der CSU-Parteitag, als der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende (Horst Seehofer) der Kanzlerin wie einem Schulmädchen die Leviten las“, heißt es dort. „Inzwischen wurde auch Edmund Stoiber aktiv und feuerte Seehofer, seinen Nach-Nachfolger im Ministerpräsidentenamt, in dessen Attacken gegen Merkel an. Und mich wollte er dazu bewegen, Merkel zu stürzen, um selbst Kanzler zu werden.“

Loyalität trotz Kritik

Er habe das entschieden abgelehnt, schreibt Schäuble. „Wie Jahrzehnte zuvor bei Kohl blieb ich bei meiner Überzeugung, dass der Sturz der eigenen Kanzlerin unserer Partei langfristig nur schaden könnte, ohne das Problem wirklich zu lösen. Das war mein Verständnis von Loyalität, das nach heutigen Maßstäben vielleicht ein wenig antiquiert erscheint.“

Stoiber (82) war von 1993 bis 2007 bayerischer Ministerpräsident und von 1999 bis 2007 Vorsitzender der CSU. In der Migrationskrise 2015 und danach äußerte er wiederholt Kritik an Merkels Kurs.

In den vom „Stern“ veröffentlichten Passagen bekräftigt Schäuble, er stammte aus Baden-Württemberg, seine grundsätzliche Unterstützung für Merkels Entscheidung, im Herbst 2015 die deutschen Grenzen für Flüchtlinge und illegale Migranten offenzuhalten, die damals großteils im Weg über Österreich und den Balkan kamen; er äußert aber auch Kritik an ihrem Handeln, das sich seither als folgenschwer erwiesen hat. „Als die Kanzlerin am 4. September 2015 die im Rückblick für diese Krise zentrale Entscheidung traf, die Grenzen angesichts der katastrophalen Zustände am Bahnhof von Budapest, wo Flüchtlinge zu Tausenden gestrandet waren, weiterhin offen zu halten, fand ich dies aus humanitären und europapolitischen Gründen richtig“, schreibt er.

Ankunft von mehr als 500 Flüchtlingen und Migranten im Herbst 2015 in Berlin mit einem Sonderzug aus Salzburg.
Ankunft von mehr als 500 Flüchtlingen und Migranten im Herbst 2015 in Berlin mit einem Sonderzug aus Salzburg.Imago / Imago Stock&people

Er habe Merkel nach Kräften unterstützt. Auch ihren Satz „Wir schaffen das“ habe er richtig gefunden. „Das waren starke Statements. Sie hätten eben nur von einer Vielzahl weiterer Maßnahmen und Anstrengungen begleitet werden müssen, um zu verdeutlichen, dass diese einmalige Notmaßnahme unwiederholbar war.“

Merkel war „beratungsresistent“

Im Unterschied zur Kanzlerin habe er es für richtig gehalten, „den Bürgerinnen und Bürgern reinen Wein einzuschenken und klarzumachen, dass der Einsatz für die Flüchtlinge eben auch mit Kosten und Opfern verbunden ist“. Er sei gelegentlich frustriert darüber gewesen, „dass Merkel in mancherlei Hinsicht beratungsresistent blieb. Nach meiner Einschätzung hätte sie ganz andere Möglichkeiten gehabt, um wirklich politisch zu führen und nicht nur zu reagieren“.

Klett-Cotta

Das Schäuble-Buch „Erinnerungen. Mein Leben in der Politik“ erscheint kommende Woche. Der CDU-Politiker war am zweiten Weihnachtstag im Alter von 81 Jahren gestorben. Schäuble war in seiner langen politischen Karriere Kanzleramtschef, Innen- und Finanzminister, CDU-Vorsitzender und Bundestagspräsident gewesen. Zuletzt war er einfacher Abgeordneter im Bundestag, dem er 51 Jahre lang angehörte, so lange wie kein anderer Abgeordneter in der deutschen Parlamentsgeschichte. Er wurde in seiner Heimatstadt Offenburg beigesetzt. (APA/DPA/red.)

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