Umfrage

Gastronomie: Sexuelle Belästigung ist Alltag

Sexuelle Belästigung durch Gäste, Kollegen oder den Chef haben viele Frauen in der Gastrobranche schon erlebt.
Sexuelle Belästigung durch Gäste, Kollegen oder den Chef haben viele Frauen in der Gastrobranche schon erlebt. Getty Images/ Drazen Zigic
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Rund 80 Prozent der in Wiener Lokalen beschäftigten Frauen haben schon sexuelle Belästigung erfahren oder beobachtet. In der Mehrheit der Fälle blieben die Taten ohne Folgen. Derzeit wird ein Schutzkonzept für die Beschäftigten in der Wiener Gastronomie erarbeitet.

Na, das gibt doch zumindest ein gutes Trinkgeld“, war eine der Reaktionen, die eine Mitarbeiterin zu hören bekam, als sie von einem Gast sexuell belästigt wurde.

Oder auch: „Geh bitte, stell dich nicht so an!“ Ebenso: „Dann solltest du vielleicht nicht in der Gastro arbeiten, wenn du das nicht aushältst.“

Dass sexistische Aussagen oder sexuelle Belästigung gern „als Spaß abgetan“ werden, wie es die eingangs erwähnte Mitarbeiterin formuliert, kleingeredet oder als etwas in der Branche „Normales“ gesehen werden, ist Realität.

In den meisten Fälle ist ein Lokalgast der Belästiger

Die Gastrobranche ist zwar natürlich nicht die einzige, in der sexuelle Belästigungen passieren, aber eine, in der sie auffallend häufig vorkommen: 79 Prozent der Frauen, die in der Wiener Gastronomie beschäftigt sind, haben eigenen Angaben zufolge in den vergangenen zwei Jahren sexuelle Belästigung selbst erlebt oder beobachtet. In den meisten Fällen (78 Prozent) ging die Belästigung von einem Gast des Lokals aus.

Ähnliche Studienergebnisse im Ausland

Dies geht aus einer Onlineumfrage hervor, die die Arbeiterkammer Wien, die Gewerkschaft Vida und die Sparte Gastronomie in der Wiener Wirtschaftskammer in Auftrag gegeben haben. Zur Teilnahme eingeladen wurden Beschäftigte in der Gastronomie, 881 Personen haben mitgemacht (von rund 40.000 in der Branche beschäftigten Menschen in Wien), der Großteil (72 Prozent) davon Frauen.

Repräsentativ sei die Umfrage nicht, sagt Ludwig Dvořák, Bereichsleiter für Arbeitsrechtliche Beratung und Rechtsschutz bei der AK. Die Ergebnisse decken sich aber mit Studien aus dem Ausland, wonach rund 80 Prozent des (weiblichen) Gastropersonals von sexueller Belästigung betroffen waren.

„Freu dich doch über das Kompliment“

Anlass für die Befragung war, dass „wir in der arbeitsrechtlichen Beratung eine steigende Anzahl von Fällen sexueller Belästigung festgestellt haben“, so Dvořák, und dies besonders in der Gastronomie. Die Ergebnisse der Umfrage würden „den dringenden Handlungsbedarf“ aufzeigen. 62 Prozent der Befragten haben sogar mehrfach sexuelle Belästigung erlebt oder beobachtet. Neben Gästen gingen die Fälle oft auch von Kollegen (48 Prozent) oder vom Chef selbst (35 Prozent) aus.

Und was auffällt: Sprachen die betroffenen Mitarbeiterinnen die Belästigung an, passierte in der Mehrheit der Fälle (60 Prozent) nichts. Also eher ein „Freu dich doch über das Kompliment“ als eine konkrete Anzeige oder Konsequenzen für den Täter. So wurde nur in 21 Prozent der Fälle der Gast des Lokals verwiesen. Noch schwieriger wird es natürlich, wenn der Chef selbst der Täter ist.

Häufiger Wunsch: Eine Ansprechperson im Betrieb

Wenig überraschend daher, dass sich viele Betroffene auch im Stich gelassen fühlen. 81 Prozent der Befragten gaben an, „dass sie sich eine klare Haltung im Betrieb wünschen, dass sexuelle Belästigung nicht toleriert wird“, sagt Olivia Janisch, stellvertretende Vida-Vorsitzende. Rund die Hälfte der Befragten wünscht sich eine konkrete Ansprechperson im Betrieb.

Umgekehrt ist auch die Arbeitgeberseite, also die Lokalbetreiber, mit der Situation überfordert und wünscht sich mehr Aufklärung: etwa darüber, welche externe Unterstützung man bei Fällen von sexueller Belästigung in Anspruch nehmen kann.

Auch vonseiten der Arbeitgebervertreter, also der Wirtschaftskammer Wien, wird die Problematik ernst genommen, was nicht immer der Fall gewesen sei, so Janisch. Derzeit ist man gerade dabei, gemeinsam mit Vertretern der Wirtschaftskammer ein „Schutzkonzept“ zu erarbeiten, das vom kleinen Café bis zum Gastrogroßbetrieb anwendbar sein soll.

„No respect, no service“

Unter dem Motto „No respect, no service“ soll es jedenfalls Infomaterial geben. Andere Maßnahmen werden erst erarbeitet, denkbar wäre etwa, sagt Janisch, eine externe Anlaufstelle, an die sich betroffenene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (auch anonym) wenden können. Oder auch Schulungen, damit Beschäftigte ihre Rechte kennenlernen („Sexuelle Belästigung ist ein Angriff auf die Menschenwürde“, so Janisch), aber auch für Führungskräfte, so Dvořák: „Denn die richtige Reaktion aus Arbeitgebersicht ist sicher schwierig, wenn man nicht darauf vorbereitet ist.“

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