„Einer der wichtigsten Männer im Staate ist der Landschullehrer.“ (A. Stifter 1849). Taferlklassler mit Lehrer, Linz 1850.
Anton Bruckner als Lehrer

Ein Lehrer – „wie da Vater!“

Lehrergehilfe und Tanzbodenmusikant: der junge Bruckner in den Bauerndörfern.

Der fünfzehnjährige Anton Bruckner stand vor der Frage der Berufswahl. Welche Möglichkeiten hatten damals begabte Buben vom Land? Anton hätte Priester werden können, Volksschullehrer oder als Fernziel ein Universitätsstudium anstreben können, um in der Verwaltung unterzukommen. Vom Probst in St. Florian befragt, antwortete der Knabe „aus kindlicher Anhänglichkeit“ mit den Worten: „Wie da Vater.“ Es war naheliegend: Die Volksschule war ihm vom Elternhaus her eine vertraute Umgebung. Vermutlich hat er sich mit seiner Mutter beraten, die wohl alles, was über den bis dahin in der Familie üblichen Status hinausging, als „hochfahrend“ ansah. Es gibt einen Hinweis darauf, dass er ihr das übel nahm. Mit zunehmendem Alter war Bruckner über die getroffene Entscheidung nicht mehr glücklich. 1855 beklagte er sich bei der Mutter „unter Tränen“, ihn damals nicht besser beraten zu haben. „Hätt i’ studiert, so wär i’ heut irgendwo in Oberösterreich a wohlbestallter Pfarrer. Das wär vielleicht besser gwen. Aber es war halt net mei Beruf; Gott hat’s anders bschlossn ghabt, und ihm hab i’ allaweil vertraut“, sagte er damals. Da bedauerte er, sich immer widerspruchslos dem Schiedsspruch seiner Umwelt unterworfen zu haben.

Das mag persönliche Veranlagung gewesen sein, war aber auch den politischen Umständen geschuldet. Es hängt mit der Zeit zusammen, in die Bruckner hineingeboren wurde, die des Biedermeier. Sie hatte ihre angenehmen Seiten: Es herrschte Frieden, die Elterngeneration hatte noch die Zeit erlebt, als ganz Oberösterreich von Napoleons Truppen besetzt war. In der Wiener Hofburg regierte der „gute Kaiser“ Franz. Einer, der Napoleon besiegt hatte, duldete von den einfachen Bürgern, den Untertanen, keinen Widerspruchsgeist. Die Stände im Land ob der Enns hatten nichts zu reden, einmal im Jahr tagte der Landtag – ein klägliches Schauspiel.

Es ist die Epoche des tiefsten Vormärz, in der Österreich vom mächtigen Staatskanzler Metternich, ängstlich von den geistigen Einflüssen des übrigen Europa abgeschottet, in einer „ideenlosen Stille festgehalten“ wurde, schreibt der Bruckner-Kenner Ernst Décsey: „Noch sind die Gewerbe in Zünfte geordnet, das Wort Freiheit klingt nach Hochverrat, das Leben ist gebunden, auf allen Formen lastet Autorität.“ Und weiter: „Die Kinder sagen zu den Eltern ‚Sie‘, der geistliche Herr zu den Angehörigen der Gemeinde, ob Lehrer, Organist, Gärtner ‚Du‘. Das Handküssen ist Verkehrssitte zwischen Nieder und Hoch, in Herrschaften und Nichtherrschaften zerfällt die Menschheit Österreichs.“

Unter dem Krummstab

Schläge waren damals Teil der Kindererziehung. Bruckner empfing sie als Sohn und Schüler. So wurden seine Sängerknabenjahre als „unauslöschliche Erlebnisse der feudalen Machtsphäre“ gedeutet, „deren Bannmeile er das ganze weitere Leben nicht mehr durchbrechen konnte“ (Ernst Tittel, 1961). Ähnlich Alfred Orel 1926, der von einer Zeit sprach, in der „der Krummstab als erstes Symbol von kirchlicher Macht“ in den Lebenskreis Bruckners getreten sei, „vor dem er sich demütig gebeugt habe“. Das sind nach Walter Pass „in den besten Fällen lediglich mehr oder weniger gut formulierte Resumees“. Sie hätten hypothetischen Charakter.

Strebsamkeit und den Wunsch, im Lehrberuf vorwärtszukommen, kann man Bruckner nicht absprechen. Die Lehrerausbildung wurde nun Teil seiner Anstrengungen, eine berufliche Absicherung zu erreichen. Lehrer waren zudem vom Militärdienst, der damals alles andere als kurz befristet war, befreit. Die gesellschaftliche Einschätzung des Lehrerstandes entwickelte sich gerade hin zum Positiven, auch wenn die Anfänge, als Schul-Lehrling und Gehilfe, nur ein sehr bescheidenes Auskommen boten. Jedenfalls bekam im Fall von Bruckner die Karriere im Schulfach „eine starke musikalische Komponente, deren Intensität über das bei Lehrern übliche Ausmaß hinausreichte“ (Franz Zamazal). Die künstlerischen Ambitionen sollten schließlich dominieren.

Linz war noch biedermeierlich, als der 16-jährige Anton Bruckner zum ersten Mal für längere Zeit hierherkam. Arbeiter gab es damals noch kaum in der oberösterreichischen Hauptstadt, dafür Bürger und Bauern und neun Kirchen, fünf Klöster, zwölf Schulanstalten. Das war 1840, es war die Zeit seiner „Präparandie“, der Ausbildung für sein Berufsziel, das Amt eines Volksschullehrers. Die verlangte Vorbildung war auf einer denkbar niedrigen Stufe, es genügte der Besuch der Trivialschule. Am 1. Oktober legte Bruckner nach Vollendung seines 16. Lebensjahres die Aufnahmeprüfung für die Lehrerbildungsanstalt ab, mit sehr guten Noten, nicht alle schafften das im ersten Anlauf. Wer finanzierte das? Die Mutter war dazu nicht imstande, sparsame Lebensführung war oberstes Gebot, was fehlte, steuerte das Stift St. Florian bei.

Zehn Monate hindurch musste er sich mit 40 Gleichaltrigen die Kenntnisse aneignen, die für zukünftige Lehrer nach der „Allgemeinen Schulordnung“ vorgesehen waren. Dadurch, dass die Lehramtskandidaten dem Unterricht der Kinder in den Klassen beiwohnten, erhielten sie Einblick in die Praxis. Die Zahl der Bewerber stieg damals unablässig, vor allem aus ländlichen Gebieten. Vermisste Anton die Geborgenheit des Stifts? Biografen sprachen von der „halsabschnürenden Nüchternheit“ dieses Linzer Jahres.

Doch es gab Fluchttore, in die Musik. Bruckner brachte 20 Kreuzer auf, um am Stehplatz eine Aufführung des Linzer Musikvereins zu besuchen: So hörte er Beethovens Vierte Symphonie. Unterricht in Gesang, Harmonielehre und Orgelspiel war wichtig für die Ausbildung und der Musiklehrer, Johann August Dürrnberger, war ein vielseitig gebildeter Mann, der den Kandidaten Bruckner in seiner Wohnung Bachs „Kunst der Fuge“ zeigte, die nach der Meinung des Lehrers gar nicht zum Spielen, eher zum Lesen eingerichtet war. Dass Bach Protestant war, machte die Sache auch nicht einfacher. Bruckner schrieb sich Note für Note ab, sie brannten sich so in sein Gehirn ein.

Dürrnberger erhielt als väterlicher Freund und Berater menschlich entscheidende Funktionen für Bruckner, auch als Vorbild. Die Abschlussprüfung im August 1841 bestand Bruckner bravourös, neun Mal mit der Note „sehr gut“. Der dornenvolle Weg eines Lehrgehilfen in einer Volksschule konnte beginnen. An die zehn Monate, die er hinter sich gebracht hatte, erinnert heute eine Gedenktafel in der Linzer Hofgasse 23. Komponiert hat er in dieser Zeit ebenso wenig wie zuvor in St. Florian.

Lehrergehilfe im Mühlviertel

Bruckner war 1841 bis 1845 einer von vielen jungen Schulgehilfen, die ihre praktischen Fähigkeiten entwickeln mussten. Eine Vorstellung vom Schulalltag und damit vom Ernst des Lebens ist heute nur schwer möglich. Was wir aber wissen, ist, dass Anton Bruckner am 3. Oktober 1841 mit der Pferdeeisenbahn von Linz nach Freistadt fuhr und von dort nach einem dreistündigen Fußmarsch im Ort Windhaag ankam. 20 Häuser und 200 Einwohner hatte das Bauerndorf damals. Es lag im nördlichen Mühlviertel nahe der böhmischen Grenze. Geistlichkeit und Schule sorgten für ein gewisses Kulturleben, es wurde bestimmt vom Brauchtum im bäuerlichen Jahreskreis. Es gab lose zusammengewürfelte Musikformationen für Kirchen- und Tanzmusik. Hier trat im Oktober 1841 Bruckner eine Schulgehilfenstelle an, als Bezahlung erhielt er pro Monat einen Gulden in bar, dazu Kost und Quartier. Es war sein erster Dienstposten und es war ernüchternd und deprimierend.

Sein Vorgesetzter war der Lehrer Franz Fuchs, er war zugleich Mesner, Organist, Musiklehrer und Nebenerwerbslandwirt. Anton Bruckner vertrat ihn, wo immer es nötig war: „Frühmorgens musste er ‚Tag-Anläuten‘ (Sommers um 4 Uhr, Winters um 5 Uhr) und Mähen, dann Pfarrer-Ankleiden, Orgel-Schlag’n, Wein-Holen, Ministrieren, die ‚Kleinen‘ ‚practiciren‘, viel Notenschreiben, Speisen-Gehen, nach dem Schulhalten aber ‚Heug’n‘, ‚Dreschen‘, Erdäpfelrab’n und Ackern. Abends endlich Gebet-Läuten und um 9 Uhr Huß-Ausläuten.“ (Gemeint war damit das abendliche Glockenläuten, es diente einst als Warnung vor den Anhängern des böhmischen Reformators Johann Hus, die plündernd über die böhmische Grenze eingefallen waren.)

Frühstück und Mittagsmahl waren karg: „Mittags gab es ‚Brennsupp’n‘, Hirsebrei mit Kraut oder Mohnnudeln, höchstens Mohnknödel, nur zweimal in der Woche Fleisch . . .“, so Biograf August Göllerich nach Bruckners eigenen Angaben. Es war die auf dem Land übliche bescheidene Kost. Er nahm sie mit den Dienstboten ein. Neben der Stallmagd zu sitzen, empfand er als erniedrigend, ebenso wie die bäuerlichen Arbeiten als Knecht, die er nicht gewohnt war. Seine Eltern hatten nie eine Landwirtschaft besessen, das Mistführen war ihm zuwider.

Erfolgreich aber war sein Bemühen um Integration in die Dorfgemeinschaft, nämlich als Tanzbodenmusikant. So einer galt damals nicht als Künstler, er hatte sich den Anordnungen und Wünschen der Tänzer zu fügen. Die weltliche Volksmusik bestand damals in Oberösterreich aus dem achtzeiligen Gstanzl bzw. Schnaderhüpfl, „wovon jeder Bursche und jedes Mädchen eine Menge auswendig weiß, singt oder mit Pfeifen ausdrückt“. Gesungen wurde oft mit satirischen Seitenhieben auf einen der Anwesenden, der sie, wenn er geschickt genug war, mit ähnlichen Reimen beantwortete. Manchmal führte das aber auch zu Spannungen. Meist waren es ironische Anspielungen auf Liebesverhältnisse, von denen die Anwesenden wussten. Jodler und Landler hatten also bestimmte Funktionen in der dörflichen Gemeinschaft. Bei der Dorfmusik waren die Violinen vorherrschend, getanzt wurde bei Kirtagen, im Fasching, im Wirtshaus und bei diversen Bällen, im Winter nach der Arbeit in den Spinnstuben (siehe Joseph Haydns weltliches Oratorium „Die Jahreszeiten“ von 1801, wo das geschildert wird).

Die Lehrer waren auch Dorfmusikanten. Bild einer Bauernhochzeit von F. G. Waldmüller, 1843.
Die Lehrer waren auch Dorfmusikanten. Bild einer Bauernhochzeit von F. G. Waldmüller, 1843.Österr. Galerie Belvedere

Es war damals möglich, nach Lust und Laune zu tanzen, die Zeit der behördlichen Tanzverbote war endgültig vorbei. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts kam es zur Gründung von Blasmusikkapellen. So spielte also Anton Bruckner in Windhaag und Umgebung zum Tanz auf, z. B. ging er „oft am Vorabende von Hochzeiten ‚die Kranzl-Tanz‘ geig’n. Auch bei Kirchweihfesten verschaffte er sich durch solches Aufspiel’n während der ganzen Nacht, wia’s der Vater tan hat, ein kärgliches Nebenverdienst für Bier, Notenpapier und Stiefel. Wenn ihn der Schlaf übermannte, schreckte ihn der barsche Zuruf eines übermütigen Burschen, der ihm ‚an Zwanz’ger‘ hinwarf: ‚Spielleut, ös Lump’n, sat’s net so faul! Zu neuen Landlern auf“, berichtet Göllerich. „Bei Hochzeitszügen wurde noch ein vierter Spieler zugezogen und Bruckner marschierte dann stets an der Spitze, mit seiner Fidel das Paar von der Kirche zu dem Hause geleitend, in dem der Festschmaus eingenommen werden sollte.“

Der Lehrer als „Aufspieler“

In Windhaag bestand dazumal wie an anderen Orten Oberösterreichs der Brauch, dass im Fasching die jungen Leute in einem bestimmten Hause zusammenkamen: „Die Mädchen arbeiteten zuerst fleißig an ihren Spinnrädern und vertrieben sich durch Erzählungen die Zeit. Abends dann trafen die Burschen ein, in einer Ecke der Stube stellten sich Musikanten (zwei Geiger und wohl auch ein Trompeter) auf und es begann ein fröhlicher Tanz, der dann die ganze Nacht andauerte.“ Mit dem Fuß wurde der Takt geschlagen, dass der Staub nur so aufwirbelte. Die Musiker erhielten einen „Zehner“, Most und Krapfen, manchmal auch ein Stück Schweinsbraten (sie wurden deswegen auch „Bratlgeiger“ genannt.)

„Beide (Bruckner und sein gleichaltriger Freund Anton Preinfalk) waren als Aufspieler besonders beliebt, weil ihre Weisen sehr anheimelnd waren, andererseits verlangten sie keine Bezahlung. An Samstagabenden musizierten beide oft im Gasthaus Höllein in Leopoldschlag, wo sich der Bauer Krackowitzer als Sänger dazugesellte. In großer Heiterkeit vergnügte man sich dort bis Mitternacht. Selbst aus Linz kam Bruckner noch manchmal zu diesen Abenden nach Leopoldschlag“ (nach August Göllerich).

Die Kinder liebten den freundlichen Hilfslehrer, der ihnen unerlaubterweise von der Kugelgestalt der Erde und von der Entstehung von Tag und Nacht erzählte. Das machte seinen Vorgesetzten wütend und er begann, ihn vor den Schülern zu demütigen. In der Gemeinde rief das exzellente Orgelspiel des Gehilfen in der Kirche Aufmerksamkeit hervor, die Reaktion von Lehrer Fuchs: „Der haut mir no’ die ganze Orgel z’samm!“ Offensichtlich musste die alte Orgel einiges aushalten, wenn Bruckner darauf spielte. So wurde das Verhältnis Bruckners zu seinem Vorgesetzten immer schlechter, zu unterschiedlich waren die Persönlichkeiten. Konfrontationen waren vorprogrammiert, Bruckner war der bessere Organist und der moderner denkende Lehrer. Bei ihm zeigten sich erste Anzeichen eines Kopfleidens, offenbar psychosomatisch bedingt. Das Zerwürfnis ging so weit, dass Bruckner bei Probst Arneth im Stift St. Florian um Versetzung bat. Er beendete seinen Dienst in Windhaag 1843.

Trotz des gespaltenen Verhältnisses zu Lehrer Fuchs stellte ihm dieser ein gutes Zeugnis aus. Viel wohler fühlte sich Buckner anschließend, 1843 bis 1845, als Lehrer in Kronstorf. Wieder verstand er es, mit den Kindern gut umzugehen. Obwohl der Ort kleiner war als Windhaag, waren hier die Bauern wohlhabender und die Lage günstiger. Ein längerer Fußmarsch und man war in einer der größeren Städte. Mit dem Gehalt konnte er sogar seine Mutter unterstützen. Auch wenn die Lehrertätigkeit wieder mit Feldarbeit verbunden war, machte ihm das nun weniger aus, weil er von der Familie Lehofer, bei der er wohnte, freundlich behandelt wurde und man Verständnis für seine Musikleidenschaft zeigte. Ein Leben „wie im Himmel“.

Sein Zimmer, angrenzend an die Schulklasse, hatte nur sechs Quadratmeter. Da hier kein Platz war für ein Spinett, durfte er es im Klassenzimmer aufstellen. Wenn er beim sonntägigen Pfarrgottesdienst die Orgel spielte, merkten die Kronstorfer auf: Die Töne waren ihnen neu und fremd. Die Meinungen über das Gehörte waren geteilt. Doch der Pfarrer des Ortes ermutigte den Lehrergehilfen zu komponieren und duldete, dass aus so mancher Messe kleine private Konzerte von Bruckner wurden. In Kronstorf schrieb er rund zehn Kompositionen, vom „Tafellied“ über die Kantate „Vergiß mein nicht“ bis hin zur „Kronstorfer Messe“ für den Gründonnerstag. Es selbst bezeichnete sich auf den Notenblättern das erste Mal als „comp.“, also als „Komponist“.

Landler aus Oberösterreich

Was nahm Bruckner mit aus seinen Aufenthalten in den Bauerndörfern? Bruckner hat in Windhaag nicht nur seine erste Messe verfasst („Windhaager Messe“), sondern auch intensive Bekanntschaft mit der Volksmusik Oberösterreichs geschlossen. Mit seiner Übersiedlung nach Wien 1868 „scheint er sich immer mehr von seiner ländlichen Heimat und auch von ihrer Musik zu distanzieren“, schreibt Klaus Petermayr, der Zusammenhänge zwischen oberösterreichischer Ländlermelodik und Bruckners symphonischem Werk, wie sie aufgrund melodischer und rhythmischer Tendenzen vielfach angenommen wurden, „im Bereich der Fabel“ ansiedelt. Andere finden in den Trios der Bruckner’schen Scherzi zwar kunstvoll überhöhte, aber im Kern oberösterreichische Landler.

Als Komponist war Bruckner Autodidakt. Systematischen Unterricht erhielt er dann während seiner weiteren Lehrerausbildungszeit in Linz, wo besonderer Wert auf gründlichen Musikunterricht gelegt wurde. Bruckner trug sich nämlich Anfang der 1850er-Jahre mit dem Gedanken, Hauptschullehrer zu werden. Die damalige „Hauptschule“ hat mit dem Schultyp gleichen Namens im 20. Jahrhundert nichts gemein. Damals war sie der verlängerte Teil des Elementarschulwesens, für diejenigen, die zusätzlich zur Trivialschule ein höheres Bildungsbedürfnis an den Tag legten. 1842 gab es in ganz Oberösterreich nur sechs davon.

»Jetzt gib i dem Sakra allweil auf der Violin Unterricht und auf einmal is a Organist draus worn.«

Franz Gruber

Bruckners Violinlehrer in St. Florian

Als Bruckner 1845 nach St. Florian zurückkehrte, war er, inzwischen 20, wieder in seinem alten Umfeld, Schule und Musik. Fünf Jahre lang unterrichtete er ab 1850 als Privatlehrer die Stiftssängerknaben, mit voller Lehrverpflichtung, also vormittags und machmittags. Zugleich war er Stiftsorganist, wurde aber nie definitiv angestellt. Er wurde als provisorischer Organist schlechter bezahlt als sein Vorgänger. Diese Knausrigkeit muss seine Unzufriedenheit gesteigert haben, so konnte es nicht weitergehen. Der wahre Grund war: Man musste sparen im Stift, durch die Aufhebung der der Grunduntertänigkeit der Bauern, eine Folge der Revolution von 1848, gingen die Haupteinkünfte verloren.

Auf der Orgel von St. Florian erhielt Bruckner erstmals professionellen Unterricht. 
Auf der Orgel von St. Florian erhielt Bruckner erstmals professionellen Unterricht. ullstein/picturedesk.com

Fühlte er sich, als er wieder in St. Florian gelandet war, mehr als Musiker oder mehr als Lehrer? Es entstanden immerhin mehrere große Werke. Ein Requiem in d-Moll (1849) war seine erste Komposition für großes Orchester und Chor. Er meldete sich für die Lehrbefähigungsprüfung in der Hauptschule an, legte sie aber erst 1855 ab. Interessierte er sich für sonst eine Stellung im Staatsdienst? 1851 machte er gelegentlich Schreiberdienste im Bezirksgericht, offenbar wollte er in die Verwaltungsabläufe hineinschnuppern, 1853 bewarb er sich dafür. Die Chancen, im Staatsdienst unterzukommen, waren aber gering, es gab bei den Behörden bereits eine große Zahl an unentgeltlich arbeitenden Praktikanten, die auf eine fixe Anstellung hofften.

Das klingt alles recht unentschlossen. Was wollte er wirklich? Vor allem Sicherheit. Er achtete auf Rückversicherung, falls ihm als Musikschaffendem kein Durchbruch gelang. So schlug er parallel mehrere Wege ein, war für verschiedene Abzweigungen offen und erreichte ein hohes Wissensniveau. Zudem hatte der Lehrer-Organist auch noch kompositorische Ambitionen. Mit seiner anspruchsvollen Missa solemnis gelang ihm 1854 eine große Orchestermesse im Stil der Wiener Klassik. Das war der Zenit seiner frühen Zeit. Die Theoriekenntnisse verschaffte er sich vor allem durch das Selbststudium. Franz Zamazal dazu: „Summa summarum: Bruckner gehörte am Ende seiner Dienstzeit als St. Florianer Volksschullehrer zur schmalen Schicht der Gebildeten oder, mit einem gängigen Bild veranschaulicht, zu den oberen Zehntausend in Oberösterreich.“

Etappen 1840–1855

1840/41 wurde Bruckner in Linz als Schulgehilfe ausgebildet, 1841 bis 1845 praktizierte er in den Bauerndörfern Windhaag und Kronstorf an den Volksschulen, 1845 bis 1855 unterrichtete er in St. Florian. Dort wurde er Stiftsorganist und Privatlehrer der Sängerknaben. 1855 war er 30 Jahre alt, er legte er die Hauptschullehrerprüfung ab und war entschlossen, St. Florian zu verlassen. Musikalisch bildete er sich in diesen 15 Jahren autodidaktisch weiter, er verbesserte sein Orgelspiel, es entstanden erste bedeutende Kompositionen für Chor und Orchester, vor allem Messen.

Das Magazin

Ein Auszug aus dem gemeinsamen Magazin für zwei Jubiläen: 50 Jahre Brucknerhaus, 200 Jahre Anton Bruckner.

Das Magazin ist im Brucknerhaus Linz, im Handel oder unter diepresse.com/geschichte zum Preis von 14 Euro erhältlich.

Dieses Magazin wurde von der „Presse“ in Unabhängigkeit gestaltet. Es ist mit finanzieller Unterstützung der LIVA - Linzer Veranstaltungsgesellschaft mbH möglich geworden.

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