Mein Freitag

Die flüchtige Schönheit des Augenblicks

Zum ersten Mal Blumen kaufen, um Trauer zu zeigen - das bleibt im Gedächtnis.
Zum ersten Mal Blumen kaufen, um Trauer zu zeigen - das bleibt im Gedächtnis.
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Eine unbedachte Mutprobe, und schon bleibt ein Sessel in der Klasse für immer leer.

Wer versucht, Teenagern Blumen näherzubringen, kann nur scheitern. Schulterzuckend gehen sie weiter, wenn man ihnen die Namen der Frühblüher am Weg aufzählt. Sie kennen nicht einmal mehr die, die sie im Kindergarten problemlos wussten, Forsythien etwa. Nun ja, nicht nur Erwachsene haben es eilig. Und nicht nur sie übersehen die flüchtige Schönheit, die der eine oder andere Tag bereithält, in Form von aufspringenden Knospen, freundlichen Worten, einem ansteckenden Lachen oder Sonne auf der Haut.

Oft vergehen die Tage, ohne irgendeine nennenswerte Erinnerung zu hinterlassen. Allzu oft. Und dann gibt es welche, die ins Leben krachen und sich dort festkrallen. Die sich nicht abschütteln lassen. Die Klasse meiner Tochter erlebte nun einen solchen, nachdem ein Klassenkamerad spätabends auf einen abgestellten Zug geklettert und in eine Hochspannungsleitung geraten war. Oder ihr zu nah kam, denn man kann auch von einem Stromschlag getroffen werden, wenn man die Oberleitung gar nicht berührt. Die Spannung kann überschlagen, wenn man eine Entfernung von 1,5 Metern unterschreitet. Lichtbogen nennt man das. Ein schönes Wort für eine schreckliche Sache.

Nun trauern viele, auch an der Schule. Die Lehrer ringen nach Worten, wenn sie mit der Klasse sprechen. Aber sie versuchen es. Manche umarmen die Teenager einfach, mit denen sie sonst oft genug auf Konfronta­tion sind. Die Klasse organisiert eine Gedenkfeier. Sie werden sagen, wie seltsam es ist, wenn jemand, der immer einfach da war, nun nicht mehr kommt. Sie werden versuchen, sich an Tage zu erinnern, die sie vielleicht achtlos verstreifen ließen. Und sie bringen Blumen. Das war ja auch das Erste, was sie gemacht haben, als die Nachricht kam – und sie es plötzlich nicht mehr eilig hatten im Leben. Die Namen der Blumen wissen sie nicht immer. Aber ihre Schönheit sehen sie.

E-Mails an: rosa.schmidt-vierthaler@diepresse.com

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