Spectrum

Wir bewohnen ein Meer aus Luft

„Verteidigen wir die Natur“, das klingt langweilig. Viel besser: „Verteidigen wir unser Territorium.“
„Verteidigen wir die Natur“, das klingt langweilig. Viel besser: „Verteidigen wir unser Territorium.“ Christian Heeb/Picturedesk
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In der Wetterwelt sind wir nicht allein. Wir atmen dieselbe Luft. Wir beobachten dieselben Wolken. Doch was wir riechen, sehen, fühlen, ist kaum mehr mit dem wissenschaftlichen Konzept von „Klima“ zu vermitteln. Was würde es heißen, sich dem Klima, der Atmosphäre sinnlich zu nähern?

Über Klima als solches zu sprechen ist schwierig. Wir reduzieren es heute auf politische Debatten, reden von Klimakollaps oder Klimakatastrophe. Oder es ist für uns – auf der anderen Seite des politischen Spektrums – ein Thema, das überbewertet ist, und dessen Überbewertung der Liberalität, dem Wirtschaftswachstum und den einfachen Genüssen des Lebens ein Ende bereiten wird. Jenseits aller Politik sind Klima, Luft und die Atmosphäre Gegenstände hoch spezialisierter Wissenschaften, von der Meteorologie über die Ozeanografie, Geologie, Geografie bis zur Atmosphärenphysik. Hier hören wir Forschenden mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Langeweile zu, wenn sie über Permafrostböden, IPCC-Szenarien oder El-Niño-Zyklen sprechen.

Der Luft, unverzichtbar mit jedem Atemzug, geht es nicht viel besser. Entweder wir definieren sie wissenschaftlich, als ein Gasgemisch mit steigenden Anteilen von Treibhausgasen oder Schmutzpartikeln. Oder aber sie ist eine Metapher für das schlechthin Nichtige. Jemand ist „Luft für mich“, etwas ist „aus der Luft gegriffen“ oder nichts als „heiße Luft“. Sie ist ein Synonym für Substanzlosigkeit, für eine Leere zwischen den Dingen.

Auch das Wetter scheint uns kaum der Rede wert, es sei denn, man betrachtet jede Witterung als Vorbote der globalen Erwärmung. Ansonsten ist es der Inbegriff des banalen Gesprächsthemas. Wer über das Wetter klagt, dem wird gesagt: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung.“

Wetter, Klima, Luft sind unterschiedliche Begriffe für die Substanz und Zustände der Atmosphäre, die unsere allernächste Umwelt ist. Menschen können tagelang ohne Nahrung leben, aber kaum Minuten ohne Luft. Wo immer wir sind, sind wir im Wetter, kein Ort der Welt, der kein Klima hat. Dennoch hat die Art und Weise, wie wir heute über dieses Atmosphärische sprechen, das so existenziell für uns ist, kaum etwas mit unserer Erfahrung, unserem Alltag oder unserer Wahrnehmung zu tun. Klima ist etwas Abstraktes, das uns eher durch Grafiken zugänglich wird als durch unsere Sinne.

Das „durchschnittliche Wetter“

Warum das so ist, zeigt sich schon in der heute gültigen Definition von Klima. Sie bestimmt dieses als „durchschnittliches Wetter“, d. h. „die statistische Beschreibung der Mittelwerte und Variationen von relevanten Größen über einen Zeitraum, der von Monaten bis Tausenden und Millionen von Jahren reichen kann“, so die Weltorganisation für Meteorologie. Diese Definition ist so kompliziert wie kontraintuitiv. Durchschnittliches Wetter ist schwer erfahrbar, denn wir nehmen Witterungen ja nicht als Durchschnitt wahr, sondern als Ereignisse oder Zustände: akute Kältewellen, Unwetter, erschlagende Hitze. Durchschnitte bilden höchstens den lokalen und jahreszeitlichen Horizont für das erwartbare Wetter. Aber genau diese Erwartbarkeiten verschwinden ja mit der allmählichen Veränderung des Klimas.

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