Wissenschaft

Bonobos sind aggressiver, als wir dachten

Bonobo-Weibchen sind nicht wie Schimpansinnen Objekte männlicher „Koalitionen“.
Bonobo-Weibchen sind nicht wie Schimpansinnen Objekte männlicher „Koalitionen“.Maud Mouginot
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Das sanfte Image trügt: Bonobo-Männchen sind sogar aggressiver als Schimpansen. Anders als diese attackieren sie aber keine Weibchen.

Der Schimpanse sei ein „bärbeißiger, in Aggressionsbewältigungsangelegenheiten ambitionierter Geselle“, der Bonobo ein „egalitärer Anhänger eines lockeren Lebenswandels“, sagte der unlängst verstorbene Primatenforscher Frans de Waal über die beiden uns am nächsten verwandten Affen. Er hat das Image der – erst vor 90 Jahren als eigene Art anerkannten – Bonobos geprägt, „sanft und sexy“ nannte er sie, attestierte ihnen das Hippie-Credo „Make love, not war“. Die Schimpansen nannte er dagegen „fremdenfeindlich“ und beschrieb ihre brutalen Kämpfe.

Dieser Antagonismus wird nun durch eine neue, soeben in „Cell“ erschienene Arbeit aufgeweicht. Ein Team um Maud Mouginot von der Boston University hat in Nationalparks im Kongo und in Tansania freilebende männliche Menschenaffen – zwölf Bonobos, 14 Schimpansen – ganztägig beobachtet und protokolliert, was sie so treiben. Das überraschendste Ergebnis: Die Bonobos waren häufiger aggressiv zueinander als die Schimpansen: Es wurde bei ihnen 2,8 Mal so oft aggressives Verhalten registriert wie bei den Schimpansen; wenn man nur tatsächlich physische Angriffe mit Körperkontakt zählt, ist das Verhältnis sogar 3:1.

Dabei bleibt ein wichtiger Unterschied: Männliche Bonobos sind fast ausschließlich zu anderen Männchen aggressiv, Schimpansen auch – und sogar häufiger – zu Weibchen. Und Schimpansen bilden öfter das, was Primatenforscher beschönigend „Koalitionen“ nennen, sprich: Sie attackieren im Kollektiv. Das bringt mit sich, dass es bei Aggressionen unter Schimpansen bisweilen Tote gibt, bei Bonobos so gut wie nie. Das, meinen die Forscher, könnte wiederum der Grund sein, warum männliche Bonobos häufiger aggressiv sind: Es ist bei ihnen einfach nicht so gefährlich. Wenn Schimpansen in einer Gruppe ihre Aggressionen frei ausleben würden, wäre das schlecht für die Gruppe.

Beschönigend ist auch, wenn die Forscher schreiben, dass der „Fortpflanzungserfolg männlicher Schimpansen von starken Koalitionen abhängt“. In der Praxis heißt das: Sie zwingen im Kollektiv ein Weibchen zum Sex, bei Menschen würde man das Gruppenvergewaltigung nennen. Das kommt bei Bonobos nicht vor, auch weil in ihrer Hierarchie Weibchen genauso weit oben sein können wie Männchen. Sie müssen sich also nicht wie Schimpansinnen ständig vor männlicher Aggression fürchten. Das könnte das zweite unerwartete Ergebnis erklären: Bei Bonobos haben wie bei Schimpansen aggressivere Männchen den größeren Fortpflanzungserfolg, zeugen also mehr Kinder.

Aggressivere sind beliebter

Offenbar wählen Bonobo-Weibchen – die sich ja im Gegensatz zu Schimpansinnen frei für einen Sexualpartner entscheiden können – eher aggressivere Männchen. Das stört die verbreitete These von der Selbstdomestikation: Bei Bonobos – laut manchen Forschern auch bei Menschen – habe sich im Lauf der Zeit sozusagen durch Damenwahl die männliche Aggression verringert.

Mouginot plädiert für „nuancierteres Verständnis von männlichen Aggressionsmustern in der Gattung Pan“ (zu der Bonobos und Schimpansen gehören) – und dafür, zwei Formen zu unterscheiden: „proaktive Aggression“, die zielgerichtet sei und etwa auch Tötung im Kollektiv umfassen könne, und „reaktive Aggression“, mit der ein Individuum schnell auf Gefahr oder Frust reagiere. Das Konzept scheint nicht wirklich ausgereift.

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