Gastkommentar

Weißmann allmächtig

Anfang April wurde allen ORF-Mitarbeitenden das passive Wahlrecht entzogen. Empören tut das niemanden.

Am 2. April hat ORF-Generaldirektor Roland Weißmann mittels Dienstanweisung den ORF-Mitarbeitern das passive Wahlrecht entzogen. Was in Österreich jedem Bürger und jeder Bürgerin durch die Verfassung garantiert ist – das Recht, sich als Kandidat für eine Wahl aufstellen zu lassen und gewählt zu werden –, wurde hier durch Bestimmungen eines sogenannten Ethikkodexes kollektiv ein paar Tausend Menschen entzogen. Wer dennoch ein Mandat (auch ein parteiloses!) in einer Bezirksvertretung, einem Gemeinderat, einem Landtag, im Bundesrat oder gar im Nationalrat ausübt, dem wird mit arbeits-, zivil- und auch strafrechtlichen Folgen gedroht.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Wer erwartet, dass dieses Vorgehen auf Protest und Widerspruch durch die Politik oder zumindest die Öffentlichkeit stößt, liegt falsch. Selbst jene, die sonst reflexartig vor jeder Art von Einschränkung demokratischer Rechte im Land warnen, bleiben stumm. Sogar die Betroffenen selbst scheinen die Beschneidung ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechte allenfalls schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen.

Juristischer Unsinn

Was sonst nur aufgrund einer gerichtlichen Verurteilung passiert – der Verlust der Wählbarkeit –, wird im Falle des ORF einfach mit Verweis auf das ORF-Gesetz, den journalistischen Verhaltenskodex, das ORF-Redaktionsstatut, die ORF-Programmrichtlinien sowie einem generellen Hinweis auf das Arbeitsrecht begründet. All das ist natürlich geballter juristischer Unsinn.

Niemandem kann auf Grundlage dieser Bestimmungen das Antreten bei Wahlen und in der Folge auch die Ausübung eines Mandats verwehrt werden. Was man durchaus regeln kann (und auch sollte), ist die Frage, wie man im Einzelfall die weitere Vereinbarkeit von journalistischer Tätigkeit und Mandat regelt. Natürlich ist es nicht denkbar, ein Nationalratsmandat innezuhaben und gleichzeitig jeden Abend die Hauptnachrichten im Fernsehen zu moderieren. Warum sollte es aber einer namenlosen Redakteurin in der Kultur- oder Religionsabteilung des ORF verboten sein, etwa in ihrer Waldviertler Heimatgemeinde im Gemeinderat zu sitzen? Warum darf sich ein der Öffentlichkeit völlig unbekannter Cutter von Fernsehbeiträgen nicht in seiner Freizeit in einer Wiener Bezirksvertretung politisch betätigen?

Natürlich sind der ORF und seine Mitarbeiter exponiert und der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mit beliebigen anderen Unternehmen zu vergleichen. Wenn es aber selbst für den politisch heiklen Bereich der öffentlichen Beamten nicht ausgeschlossen ist, dass sie zeitgleich zu ihrem Beamtenjob auch in Nationalrat oder Bundesrat sitzen können (vgl. Artikel 59a B-VG), sollte dies auch für den ORF möglich sein. Öffentliche Bedienstete werden für das zur Ausübung ihres Mandats erforderliche Ausmaß dienstfrei oder außer Dienst gestellt. Kann jemand wegen seines Mandats an seinem bisherigen Arbeitsplatz nicht eingesetzt werden, besteht Anspruch auf eine zumutbare andere Tätigkeit. Bei besonders sensiblen Positionen (Richter, Staatsanwälte etc.) wird im Einzelfall entschieden, grundsätzlich werden diese unter Entfall der Bezüge vom Dienst freigestellt. Aktuell fallen übrigens 36 der 183 Nationalratsabgeordneten unter diese Regelungen.

Der ORF und seine Leitung wären gut beraten, den jüngsten Verfassungsbruch in seinem Ethikkodex schleunigst zu beheben. Denn auch rechtswidrige Dienstanweisungen können Folgen haben. Diese würden dann aber wohl den erlassenden Generaldirektor betreffen.

Stefan Brocza (*1967) ist Experte für Europarecht und intern. Beziehungen. Nach EU- und Schengen-Koordinierung im Innenministerium und langjähr. Tätigkeit im EU-Ministerrat in Brüssel aktuell tätig in Lehre und Forschung sowie als Gutachter.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.