Gastkommentar

Unter Fälschungsverdacht: Das Ende der Wahrheit?

(c) Peter Kufner
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Die Künstliche Intelligenz erleichtert die Verbreitung von Desinformationen. Die Erosion der Fakten könnte in einen voraufklärerischen Zustand münden.

Im Jänner erhielten Tausende Bürger in New Hampshire einen automatisierten Anruf. Am Telefon: eine Stimme, die wie die von US-Präsident Joe Biden klang. Man solle nicht bei der Vorwahl abstimmen, damit helfe man nur Donald Trump. Doch bei dem Anruf lief nicht die echte Stimme von Joe Biden vom Band, sondern ein KI-generierter Stimmklon. Die fingierten Robocalls könnten nur ein Vorgeschmack darauf sein, wie mithilfe von künstlicher Intelligenz bei der US-Präsidentschaftswahl im November die öffentliche Meinung manipuliert werden könnte. Bei den Demokraten schrillen alle Alarmglocken.

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Solche Deepfakes geistern schon seit einiger Zeit durchs Netz. So wurde vor einigen Jahren im Internet ein gefälschtes Video von Barack Obama verbreitet, in dem dieser seinen Amtsnachfolger Donald Trump einen „Vollidioten“ schalt. Doch die Technik hat sich seitdem erheblich weiterentwickelt. Mit frei zugänglichen KI-Tools kann heute jeder Töne und Bilder manipulieren. Donald Trump in Häftlingskleidung, Emmanuel Macron als Müllwerker – per Mausklick lassen sich fotorealistische Fake-Aufnahmen erstellen, die verblüffend echt aussehen. Künstliche Intelligenz hat die Verbreitung von Desinformationen niedrigschwelliger gemacht. Die Technik kann mittlerweile sogar Lippen synchronisieren und Stimmen in Fremdsprachen modulieren, so dass der wenig anglophile Lionel Messi plötzlich in perfektem Englisch parliert. Können wir unseren Augen und Ohren noch trauen?

Nach dem Brexit und der Wahl Trumps zum US-Präsidenten diagnostizierten Beobachter ein „postfaktisches Zeitalter“ – und machten die postmodernen Denker der „French Theory“ für die Implosion des Wahrheitsbegriffs verantwortlich. Das Zeitalter der Fakten sei vorbei, hieß es. Damals wurden Falschmeldungen noch von Hand geschrieben (u. a. von Studenten in Mazedonien). Heute läuft die Fake-News-Produktion automatisiert. Der Output ist so groß, dass sich selbst in den Schleppnetzen von Google KI-Fakes verfangen.   

Natürlich, man kann argumentieren, dass das postfaktische Zeitalter schon lang vor dem Internet begonnen hat. Die Tabaklobby vernebelte Fakten über den Zusammenhang von Rauchen und Krebserkrankungen und streute in der Öffentlichkeit Zweifel an wissenschaftlicher Evidenz. Das gefälschte Video-Tape von Lady Di, welches das britische Boulevardblatt „Sun“ 1996 veröffentlichte, wurde von einem Amateurfilmer ganz ohne KI erstellt, für auch für die gefälschten Hitler-Tagebücher, die das Magazin „Stern“ 1983 publizierte, brauchte es keinen Textgenerator.

Postfaktisch war dieses Zeitalter aber schon allein deshalb nicht, weil die „alternativen Fakten“ oder „gefühlten Wahrheiten“ die Wahrheitsansprüche der Massenkommunikation nicht unterminierten. Die angeblichen Beweise über Massenvernichtungswaffen im Irak, mit denen der ehemalige US-Außenminister Colin Powell 2003 den UN-Sicherheitsrat und die Weltöffentlichkeit belog – Satellitenfotos, Telefon- und Videomitschnitte –, konnten von den UN-Waffeninspektoren widerlegt werden. Durch die computergenerierte Konstruktion von Wirklichkeit wird dieser epistemische Rahmen jedoch empfindlich gestört: Wo ein Text oder Foto die Möglichkeit zur Falsifikation stets mitkommuniziert, immunisiert sich der Deepfake gegen jede Form der öffentlichen Überprüfbarkeit. Es gibt kein Negativ, keine Metadaten. Die Zeichen haben ihren Referenten verloren. Powell musste in der Anhörung zumindest noch den Anschein des Beweises führen; im Zeitalter der Mikronarrative, in dem auf Social-Media-Plattformen jeder seine eigene „Story“ verbreitet, muss sich die Lüge aber schon gar nicht mehr als wahre Aussage kleiden, weil die Realität in Teilen selbst Fiktion ist.

Das Lachen von Armin Laschet

Man kann sich nicht mehr sicher sein, ob das, was man sieht und hört, auch echt ist. Die Stimme des Verwandten am Telefon? Muss nichts heißen, könnte von einer KI synthetisiert worden sein! Im Lichte der aktuellen Deepfakes geraten rückblickend auch solche Bilder und Töne unter Fälschungsverdacht, die über jeden Zweifel erhaben schienen: das Lachen von Armin Laschet auf einem Foto im Hochwassergebiet 2021, das ihn wahrscheinlich die Kanzlerschaft kostete. Donald Trumps vulgäre Aussagen in einem Video („grab them by the pussy“), das im Wahlkampf 2016 auftauchte – alles ein böser Deepfake?

Natürlich würden nur Verschwörungstheoretiker so argumentieren, aber es zeigt, wie das Voranschreiten der Digitaltechnik Zweifel an der Wahrheit sät – und so unfreiwillig jenen Akteuren in die Hände spielt, die mit Desinformationskampagnen die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge und damit das Fundament demokratischer Öffentlichkeiten zerstören wollen. In einer irren Volte des Fortschrittsdenkens leistet die künstliche Intelligenz einem Nihilismus Vorschub, der die Existenz von Wahrheit negiert. Der Zweifel, das kritische Hinterfragen von Informationen und deren Herkunft, steigert sich in einen paranoiden Skeptizismus, der hinter jedem Bild das Machwerk einer KI wittert – und wendet sich gegen sich selbst. Wahrheit ist zu einer Glaubensfrage verkommen.

Der kürzlich verstorbene frühere amerikanische Außenminister und Sicherheitsberater Henry A. Kissinger hat 2018 in einem Essay für das Magazin „The Atlantic“ unter dem Titel „How the Enlightenment Ends“ skizziert, wie das aufklärerische Projekt an sein Ende gelangen könnte. Die menschliche Vernunft und Kognition würden durch die mathematische Logik von Denkmaschinen substituiert, der Mensch zerfalle zu Daten, Wahrheit würde relativ. Zwar räumt Kissinger ein, dass KI Nutzen etwa in der Medizin oder Umwelttechnik stiften könne. Doch philosophisch und intellektuell sei die Wissensgesellschaft auf den Siegeszug der künstlichen Intelligenz nicht vorbereitet. Allein mit mehr Medienkompetenz wird dem Problem nicht beizukommen sein, zumal die Falsifikation von Informationen in einer hochgradig politisierten Realität leerläuft. Je raffinierter Deepfakes werden, desto technisierter wird die Suche nach der Wahrheit und Authentizität von Informationen. Selbst das geschulte Auge vermag KI-generierte Bilder ohne computerforensische Analysen kaum noch zu erkennen. So wie Geldscheine müssen sich in Zukunft wohl auch Fotos und Videos mit einem (kryptografisch gesicherten) Wasserzeichen gegen Falschmünzer imprägnieren. Doch um welchen Preis?

Die Deepfake-Schwemme könnte in einen voraufklärerischen Zustand führen, ein digitales „Dark Age“, in dem nur noch Spezialisten die Wahrheit mit Algorithmen entschlüsseln können – und Fakten von Wahrheitspriestern amtlich beglaubigt werden. Wer die mächtigen KI-Instrumente nicht beherrscht, dem bleibt am Ende nichts anderes übrig, als diesen Labels Glauben zu schenken – oder sich seine eigene Wahrheit zusammenzudichten.

Quellen:

https://apnews.com/article/new-hampshire-primary-biden-ai-deepfake-robocall-f3469ceb6dd613079092287994663db5
https://apnews.com/article/ai-misinformation-trump-putin-new-york-42ac9c41c5504d05412b492e48bcaded
https://www.wired.com/story/generative-ai-deepfakes-disinformation-psychology/

Der Autor

Adrian Lobe (*1988) ist Politikwissen­schaftler und freier Publizist. Zuletzt erschienen: „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren“ bei C. H. Beck.

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