Am Spieltisch

Die Waldgeister sind nicht unsere Feinde

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Ein Tal besiedeln, aber auf die freundliche Art. „Mythwind“ ist ein „cozy game“, das kein Ende kennt.

Kennen Sie cozy games? Das sind Spiele, die ein Gegengewicht zum Alltag in einer krisengebeutelten Zeit schaffen sollen. Im Vorjahr wurde ein solches, „Dorfromantik“, zum Spiel des Jahres gekürt. Das jüngst in deutscher Übersetzung erschienene „Mythwind“ von Brendan McCaskell und Nathan Lige ist ebenso von der gemütlichen Sorte. Es ist nicht nur kooperativ, sondern ein wenig mehr: Man kann gar nicht verlieren. Wie ist das möglich?

Dorfzank statt Kolonisation

Als Bauer, Händlerin, Waldhüter oder Handwerkerin besiedeln wir ein Tal, und das sehr gemächlich. Natürlich sind wir nicht die Ersten an diesem Fluss, denn lange schon leben hier Waldgeister. Ein wenig erinnert dieses Szenario an Filme wie „Prinzessin Mononoke“, nur dass es bei „Mythwind“ viel weniger dramatisch zugeht, denn die grundsätzlich freundlichen Wesen sind nicht unsere Feinde – und wir auch nicht die ihren. Das gesamte Spiel zielt nicht auf Kolonisation, sondern ein friedliches Zusammenleben ab.

Jede Partie entspricht einer Jahreszeit, in der wir eine Reihe von Tagen durchspielen. Diese Tage werden durch zufällig gezogene Karten symbolisiert, die uns anzeigen, wie das Wetter wird (Sonne, Regen, Wolken), und die verschiedene Ereignisse ins Spiel bringen, Dorfzank inklusive. In unserer Runde zu zweit haben wir diskutiert, wie mit zwei Nachbarn umzugehen ist, die sich um Hühner streiten. Aufteilen, oder dem, der die glaubwürdigere Geschichte erzählt, alle lassen? Klar hat sich später der andere an uns gerächt. Und manchmal wird es auch den Waldgeistern zu viel mit dem regen Dorfleben.

Bitte nicht so viel Unkraut

Morgens, mittags und abends können wir verschiedene Aktionen durchführen. Jeder Charakter hat dafür ein individuelles Tableau. Ist man etwa in die Rolle des Bauern geschlüpft, kann man Felder bestellen, Erdäpfel, Bohnen oder Erdbeeren anbauen, gießen, ernten, Tiere züchten oder sich landwirtschaftliche Geräte anschaffen, die den Ertrag steigern. Das viele Unkraut ist gar lästig, doch die Waldgeister mögen es gern und lassen es immer wieder wuchern. Ist man in der Rolle der Handwerkerin, nimmt man Aufträge entgegen, kauft Rohstoffe ein und verarbeitet sie zu Produkten, die man dann verkaufen kann. Etwa ein schickes Paar Stiefel oder einen Rucksack.

Neben den Aktionen am eigenen Tableau, bei denen wir Geld verdienen, gibt es jeden Tag auch im Dorf so einiges zu erledigen. Jeder Mitspieler kann Ressourcen erwerben, und – sofern genug davon vorhanden sind – Gebäude errichten. Klein fängt es an mit einem einzigen Langhaus, mit der Zeit kommen Handelsposten, Flussanlegestellen, Handwerksbetriebe und vieles mehr dazu. Wie wir das Dorf aufbauen, liegt an uns. Je länger wir uns im Tal aufhalten, desto mehr Bewohner ziehen ins Dorf, und desto mehr Waldgeister umgeben uns – in Form von jeweils acht Würfeln, die sukzessive ins Spiel kommen, und die wir für Hilfsaktionen auf unseren Tableaus anwerben können. In jeder Jahreszeit wird uns zudem eine gemeinsame Aufgabe gestellt.

Geheimnisvolle Umschläge

Wer vom Bauen, Handeln und Unkrautjäten eine Pause braucht, kann sich an ein Feld am Rand des Tals begeben und ein Abenteuer erleben, dabei unbekannte Gefilde erkunden, und wird vielleicht sogar einen Sumpfgeist oder Steingolem treffen. Auch bei den Abenteuern stehen Entscheidungen an, die den Spielverlauf beeinflussen. Ich überlegte einmal hin und her, ob ich nach einer Wanderung in felsigem Terrain im Freien übernachten sollte, weil es doch schon spät war, oder besser noch in der Dämmerung heimrennen sollte. Die Hilfe der Waldgeister sollte man nie unterschätzen.

Zauberhaft illustriert ist „Mythwind“ von Dan Wang Creative Studios und Amanda Kadatz. Mit den sehr unterschiedlichen Charakteren vereint es auch auch gleich mehrere Mechanismen, ist ein bisschen Legespiel, ein bisschen Bag-Building, ein bisschen Set Collection und vor allem ein sanftes Fantasy-Abenteuer. Man spielt asymmetrisch dahin, überlegt gemeinsam, wie man den jeweiligen Tag verbringen soll, und das tatsächlich ohne jeglichen Stress. Wer nach kniffligen Situationen und viel Spielerinteraktion sucht, ist hier an der falschen Adresse. Bei „Mythwind“ kann man sich dem Rhythmus der Waldgeister anpassen. Ein paar geheimnisvolle Umschläge, die erst zu gewissen Zeitpunkten geöffnet werden dürfen, machen die Sache dann auch noch spannend.

300 Stunden soll es gedauert haben, das Spiel aus dem Englischen zu übersetzen. Kein Wunder, es gibt viele Geschichten auf Ereignis- und Abenteuerkarten vorzulesen. Laut Verlag kann das Spiel unendlich weitergehen. Dank eines sehr aufgeräumten Spieldesigns kann man „Mythwind“ ohne Aufwand auf- und abbauen – und somit lässt sich selbst nach einem anstrengenden Arbeitstag noch eine Partie am Abend unterbringen. Ich bin jedes Mal gern ins Tal zurückgekehrt. Und so vergingen die Jahreszeiten. Nach zwei Wochen beziehungsweise vier Jahren im Dorf war ich ein reicher Bauer und meine Frau eine wohlhabende Handwerkerin. Demnächst möchten wir eine Taverne errichten.

Mythwind

Brendan McCaskell, Nathan Lige

1-4 Personen, 30-60 min pro Partie, € 99,95 (Board Game Circus)

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