Liberal betrachtet

Das Vermächtnis des Fräulein Lieser

Helene Lieser war die erste Doktorin der Staatswissenschaften. Sie gehörte der Vierten Generation der Österreichischen Schule der Nationalökonomie an.

Das Bild „Fräulein Lieser“ ist vergangenen Mittwoch um 30 Millionen Euro versteigert worden. Viel wurde über Klimt, den künstlerischen Wert und die Provenienz geschrieben. Wenig zu lesen war über das Fräulein selbst. Wahrscheinlich, so schließen Experten aus dem Scheitel, den Augen und den Lippen, dürfte es sich um Helene Lieser handeln – und nicht um die Schwester oder die Cousine. Sie war die Tochter der Mäzenin Lilly Lieser und stammte aus wohlhabenden Verhältnissen.

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Helene Lieser lebte von 1898 bis 1962 und studierte an der Universität Wien. Ihre Dissertation „Die währungspolitische Literatur der österreichischen Bankozettelperiode“ betreute der mit ihr verwandte Ludwig von Mises. Lieser war die erste Doktorin der Staatswissenschaften. In der Folge besuchte sie das von ihrem Doktorvater ins Leben gerufene Privatseminar. Sie gehörte der sogenannten Vierten Generation der Österreichischen Schule der Nationalökonomie an. Nach dem Einmarsch 1938 wurde sie vom Verband der Banken und Bankiers aus rassischen Gründen entlassen und von den Nazis eine Woche lang in Haft genommen. Sie ging wie andere Damen der Familie eine Scheinehe ein und emigrierte in die Schweiz. In Genf traf sie wieder auf Mises, der gerade sein Hauptwerk „Nationalökonomie – Theorie des Handelns und Wirtschaftens“ fertigstellte. Sie half ihm beim Lesen der Korrekturen.

Die Österreichische Schule der Nationalökonomie sieht sich in der Tradition der schottisch-englisch-amerikanischen Aufklärung. Sie sticht durch nüchternen Realismus, intellektuelle Bescheidenheit und eine antitotalitäre Grundeinstellung hervor. Bedeutende Vertreter waren Carl Menger, Eugen Böhm von Bawerk, Friedrich von Wieser, Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek. Im Ausland bezeichnet man diese Ökonomen anerkennend als die Austrians.

Helenes Lehrer Ludwig von Mises war einer der klarsten Denker und kompromisslosesten Vertreter der Marktwirtschaft. Schreibgewaltig wandte er sich gegen „allmächtige Regierungen“ und „die antikapitalistische Mentalität“.

Helenes Altersgenosse Friedrich August von Hayek setzte das Werk von Mises in ähnlich brillanter Form fort. Seine Bücher „Der Weg zur Knechtschaft“ oder „Die Verfassung der Freiheit“ sind Meilensteine einer auf Freiheit, Unternehmertum und Selbstverantwortung fußenden Ökonomik. Seinem Brief an Fritz Machlup vom April 1938 verdanken wir das Wissen über das Schicksal vieler Austrians – nicht nur von „Lene“ Lieser – in den schweren Tagen nach dem Anschluss.

Helene Lieser übersiedelte 1948 nach Paris, wo sie bei mehreren internationalen Organisationen arbeitete und zahlreiche Kongresse organisierte. Sie ging 1962 in Pension und erlag kurz danach einem Krebsleiden. Ein Platz im Wiener Bezirk Liesing ist nach ihr benannt.

In einigen Monaten stehen Wahlen zum Nationalrat an. Die Zeichen stehen auf Krise, Überschuldung, Eigentumsfeindlichkeit und Etatismus. Würden in dieser Wahlauseinandersetzung die auch von Helene Lieser vertretenen Ideen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie aufgegriffen und anschließend auch verwirklicht werden, könnte ein solches Vermächtnis jenen Wert um ein Tausendfaches übertreffen, den ihr Bild bei der Auktion erzielt hat.

Dr. Georg Vetter (*1962) ist Anwalt und Präsident des Clubs Unabhängiger Liberaler. Er war Mitglied des Team Stronach, wechselte 2015 in den Parlamentsklub der ÖVP und schied 2017 endgültig aus dem Nationalrat aus.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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