Energiegewinnung

Dieser Radschlauch macht sich die Energie selbst

Durch Verformung kann Strom erzeugt werden. Grazer Forschende nutzen dies, um Sensoren im Fahrrad-Schlauch mit Energie zu versorgen.
Durch Verformung kann Strom erzeugt werden. Grazer Forschende nutzen dies, um Sensoren im Fahrrad-Schlauch mit Energie zu versorgen.Imago / Imago
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Strom scheinbar aus dem Nichts erzeugen: Das schaffen Forschende von Joanneum Research mit einer speziellen Folie. Dieser Strom kann unter anderem zur Datenübertragung verwendet werden. Das Prinzip könnte sich auch für smarte Fußböden nutzen lassen.

Eine automatisierte Reifendruckkontrolle ist bei Autos bereits seit etlichen Jahren Standard. Auch bei Fahrrädern ist ein optimaler Reifendruck wichtig für Fahrkomfort und Sicherheit. Dennoch gibt es bei Drahteseln kein derartiges smartes Feature.

Ein Team der steirischen Forschungsgesellschaft Joanneum Research (JR) will das ändern. „Das Problem ist nicht das Messen des Drucks mit Sensoren, sondern die Übertragung der Daten auf die Anzeige des Fahrradcomputers oder auf das Handy-Display“, erklärt Projektleiter Jonas Groten vom JR-Institut Materials. „Die Datenübertragung benötigt Energie. Wir haben im Projekt ,Symphony‘ das nach vier Jahren zu Ende geht, eine Lösung gefunden, um diese Energie kosteneffizient sowie umwelt- und klimafreundlich, ohne Batterie und ohne lästige Kabelverbindungen zu gewinnen.“

Elektrische Spannung bei Verformung

Dafür griffen die Forschenden auf hausinterne Expertise zurück: Seit mehr als zehn Jahren befasst sich das Institut mit Polyvinylidenfluorid (PVDF). Das ist eine chemische Verbindung, die eine besondere Eigenschaft besitzt: Verformt sie sich, z. B. unter mechanischem Druck, verschieben sich die Ladungsträger im Material und es entsteht eine elektrische Spannung. Sie kann mithilfe von Elektroden erfasst werden.

Um auf diese Weise Strom zu erzeugen, nutzen Groten und sein Team den Umstand, dass sich der Schlauch im Reifen eines Fahrrades durch den Druck auf die Fahrbahn während der Fahrt ständig verformt. „Wir haben also eine Schicht PVDF im Siebdruckverfahren auf eine Plastikfolie aufgebracht und diese, genauso wie die zur Reifendruckmessung erforderliche Sensorik, im Inneren des Fahrradschlauchs platziert“, schildert Groten. Unterstützung kam von den Projektpartnern, dem Wiener Fahrradschlauch-Hersteller Tubolito und dem Halbleiterproduzenten Infineon.

Mit den Partnern Tubolito und Infineon wird der smarte Fahrradschlauch Realität.
Mit den Partnern Tubolito und Infineon wird der smarte Fahrradschlauch Realität.JR

„Nach etwa einer Minute Radeln hat man genug Energie produziert, sodass die Sensordaten mittels Bluetooth an die Anzeigevorrichtung übertragen werden.“ Die Umwandlung von kinetischer in elektrische Energie sei ein bereits bekanntes Verfahren, erklärt Groten, doch nutze man dafür zumeist toxische Bleiverbindungen. „PVDF hingegen ist ungiftig, kostengünstiger und auch großflächig druckbar.“ Der Motor eines E-Bikes könne freilich auf diese Weise nicht angetrieben werden. Dafür ist die produzierte Strommenge viel zu gering.

Der Fußboden lenkt Licht oder Heizung

Das Team hat schon weitere Anwendungsideen für das energieumwandelnde Polymer. Es könne überall zum Einsatz kommen, wo Sensoren Daten sammeln und eine Energieversorgung mit einer Batterie oder mit Fotovoltaik nicht sinnvoll ist – z. B. in den eigenen vier Wänden. So sei ein „intelligenter Fußboden“ in der Lage, das Licht bzw. die Heizung einzuschalten, wenn man ihn betritt. „Die Folie wird dabei in den Unterboden gelegt und verformt sich geringfügig, wenn man draufsteigt.“

Groten betont: „Mit jedem Schritt erzeugt man ein paar Hundert Mikrojoule Energie, die ausreichen, um das Signal zum Einschalten des Lichts oder der Heizung an die Smart-Home-Applikation zu senden.“ So sei u. a. eine energieeffiziente Raumheizung bzw. -kühlung möglich. Das Gewinnen kleiner Mengen elektrischer Energie aus Quellen in der Umgebung – das „Energy Harvesting“ (Energie-Ernten) – sei eine nachhaltige Möglichkeit zum Betrieb von Datenübertragungen oder anderen Systemen mit niedrigem Energiebedarf.

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