Mit Federn, Haut und Haar

Bericht aus dem Riff: Begreifen schlägt Wissen

Als formenreichste Ökosysteme gelten die Korallenriffe. Heute kann man sie in lebensnahen Ausschnitten im Aquarium wachsen lassen.

Im Gegensatz zu angelesenem Wissen prägt das aus Tun begriffene Weltbilder und Handeln. Konrad Lorenz etwa hielt seit Kindesalter alles an Fischen, Amphibien, Vögeln und Säugetieren, was ihm in die Finger kam. Sein genialer Geist begriff – und generierte Konzepte. Das Schriftliche, das er später in druckreifem Deutsch, Englisch und Französisch von sich geben sollte, brauchte der Jugendliche zunächst nur sparsam, er führte ein Skizzentagebuch. Als leidenschaftlicher Aquarianer begriff Lorenz bald, wie Ökologie Verhalten formt. Und als er mit seinem Freund Art Myrberg um 1960 die ebenso bunten wie territorialen Rifffische der Florida Keys betauchte, reiften die Ideen zu seinem einflussreichsten Buch zur Naturgeschichte der Aggression (1963). Tätiges Begreifen als Königsweg zur Erkenntnis!

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Selbst fesselt mich seit Jahresbeginn ein 800-Liter-Riffaquarium. Darin entwickelt sich ein komplexes Ökosystem, mit Weich- und Steinkorallen, Gorgonien, Anemonen und ein paar Fischen. Die Blumentiere kamen als Ableger aus Nachzuchten, und mit ihnen ein „Mikrobiom“ in Form einer enormen Vielfalt an marinen Bakterien und Einzellern sowie Hunderte (!) Arten von Algen, Würmern, Schnecken, Stachelhäutern, Krebstieren etc.

Tatsächlich existieren die meisten der im Erdaltertum entstandenen „Baupläne“ der Tiere nur im Meer, wenige schafften es ins Süßwasser oder an Land – wo etwa mit den tropischen Regenwäldern dennoch eine gewaltige Artenvielfalt entstand. Als formenreichste Ökosysteme gelten aber die Korallenriffe. Heute kann man sie dank jahrzehntelanger Erfahrung und ausgereifter Technik in lebensnahen Ausschnitten im Aquarium simulieren.

In den Regenwäldern und Korallenriffen wird ein geringer Eintrag an Nährstoffen sofort aufgenommen. Im Riff von allem von Algen, darunter die Symbionten der deshalb vor allem von Licht lebenden Korallen, Anemonen und Riesenmuscheln. Zu viel oder zu wenig Nährstoffe oder aber ungünstige Licht-, Strömungs- und Temperaturverhältnisse lassen diese Algen kümmern oder absterben – mit ihnen die Korallen. Zudem kratzen unglaublich viele Arten von Nahrungsspezialisten das wenige an Verwertbarem in Regenwald und Riff zusammen und fungieren dann mit ihren Hinterlassenschaften als lokale Düngerstreuer.

Im Riffbecken verwandeln Kleinkrebse, Würmer und letztlich Bakterien die Hinterlassenschaften der wenigen Fische und Garnelen in von den Symbionten der Blumentiere verwertbares Nitrat und Phophat. Im Idealfall lehrt dieser fast geschlossene, fein balancierte Kreislauf den menschlichen Manager des Riffbeckens zu beobachten und – wenn überhaupt – nur sparsam einzugreifen. Mit einem abgestimmten Fisch- und Garnelenbesatz braucht es nur geringe Futtermengen und damit wenig Filter- und Abschäumerleistung, wenig Wasserwechsel und Zusatz von Kalk und Spurenelementen, um bei ausreichend Licht und Strömung Korallen wachsen zu lassen, und mit ihnen eine enorm reiche Lebewelt.

Es ist aneigenbares Wissen, dass das reiche Leben im Riff(-Aquarium) dann boomt, wenn diese Parameter stimmen. Aber erst das praktische Tun lässt die Komplexität, Verletzlichkeit und Fragilität dieses Ökosystems bei seiner gleichzeitig hohen Resilienz begreifen und in Ansätzen verstehen.

In dem nächsten Bericht aus dem Riff geht es um Ökologie und Vermehrung der bezüglich Sex recht pragmatischen Rifffische.

Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe i. R. Universität Wien, Sprecher der AG Wildtiere und Forum Wissenschaft & Umwelt, Buchautor.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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