Morgenglosse

Die Welt ist schlecht? Dann raus aus dem Schaumbad!

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Selbstfürsorge-Influencer empfehlen, den Nachrichtenkonsum einzustellen. Das mag von Zeit zu Zeit guttun, sinnstiftend ist es nicht.

Selfcare – ins Deutsche gern etwas sperrig mit „Selbstfürsorge“ übersetzt – ist offenbar immer noch das Gebot der Stunde. Zumindest erscheint diese Diagnose nach längerem Herumtreiben auf den sozialen Medien angebracht. Dort bekommt man Anleitung über Anleitung geliefert, wie dieses professionelle Sich-um-sich-selbst-Kümmern denn nun funktionieren soll. Vor allem gehören dazu offenbar Duftkerzen, die von Frauenhänden angezündet werden, über deren Gelenke ein Ultra-super-Flausch-Kuschelpullover weit heruntergezogen ist. Hoch im Kurs sind auch Schaumbäder, Meditieren, Tagebuchschreiben und gesalzenes Kokosnusswasser mit Zitrone. Das alles, erklären absolut entspannt aussehende Menschen mit strahlender Haut, soll dazu dienen, das Stresshormonlevel zu senken.

Wunderbar, denkt der gerade dem Arbeitsstress entkommene Millennial und greift beherzt zum Kokosnusswasser. Es ist ja auch wirklich alles anstrengend genug.

Nur, Moment, die Selfcare-Vorbilder schlagen da noch etwas vor: Hände weg von den Nachrichten, meinen sie. Was es da zu lesen, sehen oder hören gibt – Kriege, Verbrechen, Krankheiten, Umweltkatastrophen, politische Streitereien –, das verträgt sich nämlich partout nicht mit dem gerade erst Schaumbad sei Dank heruntergefahrenen Stresslevel. Da empfehlen die Influencer doch viel eher eine Comedy-Serie.

Das ist vollkommen okay – hin und wieder. Es ist legitim, in einer so schnelllebigen Zeit wie der unseren ab und zu herunter- und die Welt gewissermaßen auszuschalten. Aber Vorsicht: Allzu bequem sollte man es sich in diesem Super-Flausch-Zustand dauerhaft nicht machen, trotz oder gerade wegen der bedrückenden Nachrichtenlage. Wen es zu sehr aufregt, dass die Werte der liberalen Demokratien bedroht werden, der macht sich doch zum Komplizen, wenn er den Informationsfluss stoppt und stattdessen eine Gesichtsmaske auflegt. Wer gebeutelt ist von Leid und Hunger auf der Welt, schläft vielleicht, wenn er oder sie eine Petition unterzeichnet hat, um einiges besser, als wenn sie oder er Stunde um Stunde in die Flamme einer Duftkerze starrt.

Ja, die Beschäftigung mit den multiplen Krisen dieser Tage belastet das Gemüt. Die „Mental Health“ ist da schnell einmal im Keller. Ihr zuträglich ist hingegen das, was Viktor Frankl einst den „Logos“ nannte: der Sinn. Die Auseinandersetzung mit den vielen Problemen dieser Welt und gleichzeitig aber auch den möglichen Lösungsansetzen, das Aufstehen dagegen und die aktive Teilnahme am Gestalten der Realität können dem eigenen Leben eine ganze Menge Sinn geben.

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