Replik auf Josef Urschitz

Urschitz rückt unsere Studie in ein falsches Licht

Eine Abschätzung der wirtschaftlichen Folgen der grünen Transformation benötigt granulare Lieferketten-Daten.

Eine der jüngsten Kolumnen von Josef Urschitz (“Die Presse“ vom 23. 4. 2024) rückt die Ergebnisse einer unserer Studien zur Relevanz von Lieferketten für Klimapolitik1) in ein falsches Licht. Das Hauptziel einer erfolgreichen Klimapolitik ist es, die De­karbonisierung der Wirtschaft und Gesellschaft so zu gestalten, dass die Klimaziele erreicht und potenziell negative Auswirkungen möglichst gering gehalten werden. Um die sozial-ökologische Transformation erfolgreich zu bewerkstelligen, müssen wir als Gesellschaft die klimatischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen der zu treffenden Maßnahmen vernünftig abschätzen können. Genau hier setzt unsere kürzlich veröffentlichte Studie an.

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Wir zeigen, dass es für eine ganzheitliche Bewertung der wirtschaftlichen Auswirkungen klimapolitischer Maßnahmen unerlässlich ist, die Lieferketten von Firmen zu berücksichtigen. Heutzutage sind einzelne Unternehmen durch ihre Lieferbeziehungen zu einem hochkomplexen Produktionssystem verknüpft, das heute allgemein als „die Wirtschaft“ bezeichnet wird. Dadurch sind es vor allem die indirekten Folgen von spezifischen klimapolitischen Maßnahmen, die sich entlang der Lieferketten ausbreiten, welche aus einem lokalen Ereignis wie einer Firmenpleite ein Ereignis von systemischer Relevanz machen. Erstmalig können wir diese indirekten Auswirkungen umfassend modellieren und quantifizieren, da in einigen Ländern, wie Ungarn, Lieferketten auf Unternehmensebene mithilfe von Umsatzsteuerdaten detailliert rekonstruiert werden können und für Forschungszwecke zugänglich gemacht werden. Bisherige ökonomische Modelle waren nicht in der Lage, diese Granularität darzustellen, da ihnen schlichtweg die Datengrundlage fehlte. Das ändert sich jedoch gerade, und diese Entwicklung hat das Potenzial, die Wirtschaftswissenschaften zu revolutionieren2).

Unsere Studie markiert einen ersten Schritt zur umfassenden Nutzung solcher Lieferketten-Daten für eine evidenzbasierte Klimapolitik. Wir zeigen grundlegend, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen von Klimapolitik, je nachdem, wie stark spezifische Unternehmen betroffen sind, um das Zehnfache variieren können. Somit stellt die präsentierte Methode eine Art von Risikobewertung dar, die natürlich verbessert und verfeinert werden muss, aber genau das Gegenteil dessen bezwecken will, was uns in der kürzlich erschienenen Kolumne bescheinigt wird: nämlich dass wir vorschlagen, die Klimaziele zu erreichen, indem planwirtschaftlich einfach Unternehmen zugesperrt werden sollen. Im Gegenteil, die entwickelte Methode erlaubt eine Abschätzung der Auswirkungen, wenn systemrelevante Unternehmen die Transformation nicht schaffen, damit dementsprechend frühzeitig Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können.

Johannes Stangl (*1994) ist Wissenschaftler am Complexity Science Hub (CSH) in Wien und forscht zur grünen Transformation und zu deren Zusammenwirken mit Liefernetzwerken. Christian Diem (*1990) erforscht als Wirtschafswissenschaftler am CSH, wie sich wirtschaftliche Schocks entlang von Lieferketten- und Finanznetzwerken ausbreiten.
Tobias Reisch (*1992) ist Wissenschaftler am CSH und forscht zur Struktur und Dynamik von Lieferkettennetzwerken.

Quellen:
[1] Stangl, J., Borsos, A., Diem, C., Thurner, S. Firm-level supply chains to minimize unemployment and economic losses in rapid decarbonization scenarios. Nat Sustain (2024).
[2] Pichler, A., Diem, C., Brintrup, A., Lafond, F., Magerman, G., Buiten, G., Choi, T.Y., Carvalho, V.M., Farmer, J.D. & Thurner, S. (2023). Building an alliance to map global supply networks. Science, 382 (6668), 270–272.

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