Konzert

Bilderbuch in der Arena: Das war bester Barock ’n’ Roll

Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst zeigte Nabel wie Lenny Kravitz.
Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst zeigte Nabel wie Lenny Kravitz.APA/Georg Hochmuth
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Bilderbuch nutzten die Gunst der Stunde: In der Wiener Open-Air-Arena Arena luden sie nach einem Unwetter die Atmosphäre wieder elektrisch auf.

„Wien, meine kleine Heimatstadt, führ mich in Versuchung“, lautete der erste Begehr von Sänger Maurice Ernst am Montagabend in der Wiener Arena beim Auftritt seiner Band Bilderbuch. Das war kess und mit doppelter Zunge gesprochen. Der Oberösterreicher nahm dann doch den ersten Teil zurück. „Wien! Ich bin immer noch der kleine Junge vom Land. Wirst du mich jemals akzeptieren?“ Der aufbrandende Jubel war wohl Antwort genug. Angetan mit Pluderhosen samt Handschellen an der rechten Hüfte, versprühte Maurice Ernst prächtige Laune. Das gelbe Top, das er darüber trug, war womöglich eine diskrete Botschaft an Non-Binäre. Er zeigte Nabel wie Lenny Kravitz. Omphalophob durfte man nicht sein. Dieser Terminus für „krankhaftes Entsetzen vor dem eigenen oder fremden Nabel“ verschwand allerdings vor einigen Jahren aus dem Duden. Vielleicht sterben sie ja aus, die Omphalophoben.

Unerwartete Wiederkehr feierte allerdings, dank Bilderbuch, die mit dicker Hose gespielte E-Gitarre (Ernst, Michael Krammer). Barock, als ob es Punk nie gegeben hätte. Das erste Stück des Abends kam aus der Konserve. Es war traditionellerweise ein Rockklassiker. Vor zehn Jahren, als sie im Künstlerhaustheater konzertierten, war es „The Boys Are Back in Town“ von Thin Lizzy. An diesem Abend „Paranoid“ von Black Sabbath. Mal sehen, was am 24. 4. 2025 dröhnen wird, wenn Bilderbuch ihr Debüt in der Wiener Stadthalle geben werden.

Bilderbuch führten vor, dass ein guter Popsong tatsächlich erst im Kopf des Hörers vollendet wird.
Bilderbuch führten vor, dass ein guter Popsong tatsächlich erst im Kopf des Hörers vollendet wird.APA/Georg Hochmuth

„Der Himmel öffnet dir sein Loch“, hieß es dann im Opener „Softpower“. Falls das eine Anspielung auf ein kaputtes Verhältnis zwischen Mikro- und Makrokosmos gewesen sein sollte, dann kam sie zu spät. Der Himmel hatte seine Schleusen nämlich kurz vor dem Auftritt von Bilderbuch geöffnet. Gewitter, Hagel, Sturm, das ganze Programm. Gegen 21 Uhr hatte sich die Lage beruhigt, und Bilderbuch konnten wieder Spannung in der Atmosphäre aufbauen. Psychedelische Klänge bildeten psychische Notlagen ab. „Uh, I think it’s depression“, dia­gnostizierte Ernst in das prächtig aufgetürmte Quietschen der Gitarre. Die Keyboards daddelten à la Krautrock der Siebzigerjahre. Bilderbuch bringen mit solchen Soundmanövern die Geschlechter und Generationen zueinander. Ihrer Losung „Beweg dich in Spirals“ kamen durchaus auch reifere Semester nach.

Paradies für Hörer, die gern rätseln

Exakt vermessen waren die Riffs, mit denen das bislang unveröffentlichte „Drugs“ die Gehörgänge kitzelte. Ein Lied, das an Prince erinnerte, der es wie kein anderer verstand, mit Elementen des Rock zu arbeiten, ohne dass Rockmusik dabei herauskam. Bilderbuch bedienen sich einer ähnlichen Strategie. Ihre Musik ist voller Zitate und Soundsplitter, ein Paradies für Hörer, die gern projizieren, deuten und rätseln.

Immer noch erratisch wirkte „Nahuel Huapi“, das mit seinem Schlagerrefrain in manchen die Grausbirn aufsteigen ließ. Das Gros der Fans sang allerdings innig mit. Was ging da vor? War das die berühmte subversive Affirmation, die das leider längst eingegangene Popdiskursmagazin „Spex“ so gern ins Treffen führte? Ist Jasagen eine neue Form von Widerstand? Noch bevor darauf eine befriedigende Antwort gefunden werden konnte, war man schon „Willkommen im Dschungel“. Dort blüht laut Maurice Ernst der Handel mit dem frohen Gemüt. Wie im Song waren jetzt die Luft elektrisch, die Mädels hektisch. Ein Szenario, mit dem Bilderbuch demonstrierten, dass ein guter Popsong tatsächlich erst im Kopf des Hörers vollendet wird.

Das galt auch für die episch ausgewalzte Erotiknummer „Auf und ab“, bei der Gitarre und Stimme um die Wette falsettierten. „Bungalow“, von der Crucchi Gang italianisiert, kam auch in der oberösterreichischen Originalversion fantastisch an. „Du musst mehr Geld verdienen, damit du das Soda-Zitron deines Lebens immer trinken kannst“, scherzte der Sänger. Der Mann kann orakeln, bilanzieren, aber auch saldieren. Längst sitzt er an den Gestaden der „Rivers of Cashflow“, wie er in „Bungalow“ sang. Und die Zeile „Baby, leih mir deinen Lader“ wirkt immer noch elektrisierend. Für die mächtig tobende „Maschin“ und „Kitsch“, seine Zwiesprache mit Jesus, entledigte sich Ernst gar seines Oberteils.

Das Grande Finale mit „Checkpoint (Nie Game Over)“ und „Spliff“, Evergreens im Repertoire der Band, hallte noch lang nach. Wie auch die Sentenz „Das Leben ist wie eine Tropfsteinhöhle“, die wohl als Hausaufgabe gedacht war. Beim nächsten Mal reden wir drüber.

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