Lissabons Forschungscommunity gibt sich entspannt und weltoffen.
Reportage

Innovationshauptstadt Lissabon: Von Portugal das „Durchwurschteln“ lernen

Portugal gilt als sechstärmstes Land in der EU, trotzdem wurde Lissabon zur Innovationshauptstadt gekürt. Wie das?

Auf dem Rossio-Platz leuchten Jacaranda-Bäume in Violett, neben der historischen Straßenbahnlinie 28E werden Ananas verkauft und am Rand der Prachtstraße Avenida da Liberdade wird Salsa getanzt. Oder ist es Tango? Schon biegt das Elektro-Tuk-Tuk in die nächste Gasse. „Urlaub?“, fragt der Fahrer. Die österreichische Runde schüttelt den Kopf. „Wir schauen uns eure Forschung hier an“, so die Antwort.

„Wir“, das sind die Teilnehmenden einer Studienreise der Austrian Cooperative Research, eines Netzwerks privater gemeinnütziger Forschungsinstitutionen, die mit kleinen und mittleren Unternehmen zusammenarbeiten. Holprig geht es die Lissaboner Altstadt hinauf zu einem Aussichtspunkt im Arbeiterviertel Graça und hinunter ans Tejo-Ufer. Für einen ersten Eindruck reicht das, bevor es in die Forschungsstätten geht.

»Österreich kann sich von
Portugal viel abschauen.«

Iris Filzwieser,

ACR-Präsidentin

Bei dem Stichwort „Forschung“ nickt der Tuk-Tuk-Fahrer wissend. „Der Web Summit in Lissabon ist berühmt“, bringt er eine der weltweit größten Tech-Innovationskonferenzen ins Gespräch ein. Ob er auch weiß, dass Portugal neuerdings EU-Innovationshauptstadt ist, fragt niemand. Sie sind sich, so lassen einige ACR-Institutsleiter durchklingen, selbst nicht ganz sicher, was sie von dem Titel halten sollen. Denn während Österreich auf Platz sechs im EU-Innovationsranking liegt, muss sich Portugal mit Platz 18 begnügen.

Dem rigiden Sparkurs die Stirn bieten

„Von den Innovationen her, das stimmt, gibt es hier keinen Wow-Effekt“, räumt ACR-Präsidentin Iris Filzwieser ein. Doch ihr Fokus liegt woanders: „Unserer Wirtschaft geht es nicht gut, darum ist es spannend, wie man in Portugal mit beschränkten Mitteln umgeht, wo die Forschungsförderlandschaft massiv die Handschrift eines Sparkurses trägt.“ Die Wirtschaftsdelegierte Esther Maca pflichtet dem bei: „In Portugal ist man es gewohnt, mit wenigen Mitteln zu arbeiten.“ Als sie vor fünf Jahren ins Land gekommen ist, sei sie überrascht von der positiven Haltung gewesen. „Die Menschen sind sehr gut darin, kreative innovative Lösungen zu finden. Sie lassen sich von schwierigen Situationen nicht abschrecken, sondern gehen sie an. Dafür gibt es sogar einen eigenen Begriff: ,desenrascar‘.“ Der sei schwer zu übersetzen, am besten träfe es das österreichische „durchwurschteln“ – verstanden als charmant-pragmatische Haltung.

»Wir vervielfachen unser Geld mit Motivation.«

Dídia Isabel Cameira Covas,

Ceris-Präsidentin

Dabei muss Portugal sich nicht verstecken. Das Potenzial ist groß, gerade im Mint-Bereich. Immerhin gehört das Land mit einem Drittel an Studienabschlüssen in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik mit Deutschland, Schweden und Dänemark zur EU-Spitze (Ö: 25 %), auch der Frauenanteil ist mit 43 Prozent hoch (Ö: 34 %). Gleichzeitig umwirbt man ausländische Talente mit zunehmendem Erfolg. Besonders im Tech-Bereich.

Alte Routinen aufbrechen

Von einem Mangel an Innovation könne keine Rede sein, betont Klaus Schuch vom Zentrum für Soziale Innovation. „Portugal hat nach der schweren Wirtschaftskrise mit dem Social Innovation Fund etwas europaweit Einmaliges geschaffen.“ Mit Geldern daraus werden kreative Sozialprojekte gefördert. „In Österreich haben wir alte Routinen, bei denen ein wenig Innovation nicht schaden würde, um Problemen wie der zunehmenden Einsamkeit von alten Menschen und Jugendlichen zu begegnen.“ Von konzernähnlichen Organisationen wie Caritas und Volkshilfe könne man dies nicht erwarten.

Derzeit schaut man von Österreich aus häufig auf Portugal. Erst im Herbst war Bildungsminister Martin Polaschek hier, um sich ein Bild von jenem Land zu machen, das die Wissenschaftsskepsis innerhalb einer Generation erfolgreich bekämpft hat. Während sich in Österreich lediglich 27 Prozent der Bevölkerung für Wissenschaft und Innovation interessieren, sind es in Portugal 62 Prozent. Diese aufgeschlossene Haltung „übersetzt“ sich in die Zusammenarbeit zwischen Forschungsstätten und Unternehmen. So beobachtet das zumindest Christian Fink vom ACR-Institut AEE für nachhaltige Technologien: „Wir haben gute Erfahrungen mit der Uni Évora bei der Integration von solarer Prozesswärme in die Industrie gemacht. Portugiesische Betriebe haben deren Forschungsergebnisse gleich aufgegriffen und darauf vertraut.“ In Österreich sei man da zögerlicher.

Am Campus der Wissenschaft-und-Technik-Fakultät (<u>FCT</u>) der Nova-Uni.
Am Campus der Wissenschaft-und-Technik-Fakultät (FCT) der Nova-Uni.Grobner

CoLabs an der Schnittstelle zwischen Forschung und Unternehmen

Gegenüber von Lissabon, am anderen Ufer des Tejo, wo jene wohnen, die sich die Mieten in der Hauptstadt nicht mehr leisten können, liegt die Wissenschaft-und-Technik-Fakultät (FCT) der Nova-Uni. Nur einen Steinwurf entfernt davon: der Madan Parque, eine Schnittstelle zwischen akademischer Welt und Unternehmen. Im Alma-Science-Labor wird zum Beispiel am Einsatz von Zellulose für nachhaltige intelligente Anwendungen, wie Bieretiketten mit kühlendem Effekt, geforscht. Es ist eines von 40 CoLabs im Land. „Diese spielen eine wichtige Rolle in unserem Innovationssystem“, erklärt José Paulo Santos vom wissenschaftlichen Rat der FCT.

Die CoLabs sollen Unternehmen den Zugang zu globalen Märkten erleichtern und ausländische Investitionen in technologieintensiven Bereichen fördern. In den Laboren spüre man eine Art „Aufbruchsstimmung“, resümiert einer der Studienreise-Teilnehmer. Eine Beobachtung, die die Gastgeber freut. „Motivation, harte Arbeit und Partnerschaften – dadurch vervielfachen wir jeden Euro um sein Zehnfaches“, sagt Dídia Covas, Präsidentin von Ceris, einem Forschungszentrum für Bauingenieurwesen.

Diese Etiketten, die im Lissaboner Alma-Science-Labor entwickelt wurden, reduzieren die Kühlzeit von Getränken im Kühlschrank auf ein Drittel.
Diese Etiketten, die im Lissaboner Alma-Science-Labor entwickelt wurden, reduzieren die Kühlzeit von Getränken im Kühlschrank auf ein Drittel.Grobner

Die letzte Station der Gruppe, zu der auch Vertreterinnen von Ministerien sowie der Forschungsförderungsgesellschaft FFG gehören, ist die Technische Hochschule, wo ein Waldbrand- und ein Fischereiüberwachungssystem vorgestellt werden. Dass modernste Forschungsinfrastruktur nicht nur Zukunft prägen, sondern mitunter Vergangenheit erhellen kann, demonstriert der Geotechniker Gustavo Paneiro bei seiner Führung durch das Cerena-Institut für natürliche Ressourcen und Umwelt (dessen Forschende gehören laut Stanford-Ranking zu den besten zwei Prozent weltweit).

Überraschender Fund dank Nanotomographie: Kieferknochen eines noch unbekannten Tieres.
Überraschender Fund dank Nanotomographie: Kieferknochen eines noch unbekannten Tieres.Grobner

Im auf der Iberischen Halbinsel einzigen „Multi-scale Imaging“-Labor fand ein paläontologisches Team kürzlich in Sedimentgestein den Kieferknochen eines unbekannten ausgestorbenen Tiers. Das lässt die Gäste hellhörig werden. „Können wir Ihnen auch Proben schicken? Machen Sie uns einen guten Preis?“, so die Fragen an Paneiro. „Natürlich“, entgegnet dieser schmunzelnd. „Wir machen immer für alle einen guten Preis.“

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