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Dominic Thiem: Ist das der richtige Zeitpunkt für den Rücktritt?

Dominic Thiem begibt sich nach 14 Jahren als Profi auf der Tour noch diese Saison in den Ruhestand.
Dominic Thiem begibt sich nach 14 Jahren als Profi auf der Tour noch diese Saison in den Ruhestand. Reuters
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Analyse. Mit Saisonende zieht Dominic Thiem, 30, einen Schlussstrich hinter seine bemerkenswerte Karriere. Handgelenks- und Motivationsprobleme hatten der ehemaligen Nummer drei den Trainingsalltag erschwert, sie liefern Gründe für den Rücktritt. Aber hat der US-Open-Champion 2020 bei seinem Comeback alles versucht?

Wenn das Feuer nicht mehr brennt, dann ist es Zeit zu gehen

Seit Freitagmittag ist offiziell, was sich ob der gebotenen Leistungen schon seit Monaten angekündigt hat: Dominic Thiem bestreitet 2024 seine letzte Saison. Er befindet sich mitten auf der Zielgeraden einer bemerkenswerten Karriere. Beim Stadthallenturnier in Wien Ende Oktober wird der bis dato nach Thomas Muster zweiterfolgreichste österreichische Tennisspieler zum finalen Return ansetzen. Nähere Details betreffend Turnierplan sollen heute folgen.

Die Entscheidung Thiems, mit 31 Jahren die Sportlerpension anzutreten, sie schmerzt Tennisfans aus aller Welt – und doch ist sie nachvollziehbar und richtig. Der 17-fache Turniersieger war seit seinem Comeback nach der im Juni 2021 in Mallorca erlittenen Handgelenksverletzung nur noch ein Schatten seiner selbst. Thiem war auf dem Platz nicht wiederzuerkennen. Er erkannte sich selbst nicht mehr. Weder spielerisch noch kämpferisch. Es hagelte Niederlagen, nicht wenige davon waren höchst unangenehm, gemessen an den Standards einer ehemaligen Nummer drei.

»Ich habe euch eine sehr wichtige, sehr traurige, aber auch sehr schöne Nachricht zu sagen.«

Dominic Thiem

Tennisprofi

Seiner größten Waffe, der unwiderstehlichen Topspin-Vorhand, beraubt, fehlte es Thiem in den vergangenen zwei Jahren nicht nur an entscheidender spielerischer Qualität. Es fehlte ihm auch an dem Glauben, noch einmal Außergewöhnliches erreichen zu können. Er wollte auch nicht mehr daran glauben. Tennis, und das ist keine Floskel, spielt sich zu großen Teilen im Kopf ab. Dort war Thiem schon lang nicht mehr frei. Er haderte mit sich und seinem Tennis, das zu Glanzzeiten selbst Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djoković zum Verhängnis wurde.

Dominic Thiem hat die Zeichen der Zeit erkannt. Er möchte sich auf dem Tennisplatz nicht länger quälen. Nach Niederlagen nicht länger nach Entschuldigungen oder gar Ausreden suchen. Als „sehr wichtige, sehr traurige, aber auch sehr schöne Nachricht“ bezeichnete der US-Open-Champion von 2020 am Freitag seinen Entschluss – und wirkte dabei erleichtert. „Ich bin sehr glücklich damit“, erklärte Thiem in seinem Videostatement.

Als wäre der Mensch Dominic Thiem froh, dass es den Tennisspieler Dominic Thiem bald nicht mehr gibt. Wenn diese Erkenntnis erst einmal gereift ist, dann ist es Zeit zu gehen.

Bevor es Zeit ist zu gehen, darf nichts unversucht bleiben

Die ganz großen Sportkarrieren verlaufen nach einem bestimmten Muster. Ein Außenseiter betritt die Bühne, marschiert an die Spitze, er erleidet einen Rückschlag, kämpft sich aber zurück und feiert noch einmal einen großen Triumph. Auch Dominic Thiem war als Österreicher im Weltsport Tennis ein Underdog, mit enormem Einsatz schaffte er es zum Grand-Slam-Sieger, doch von seinem persönlichen Rückschlag, einer hartnäckigen Handgelenksverletzung und einem offenbar ebenso hartnäckigen Motivationsloch, hat er sich nie wieder erholt.

Seine Karriere wird trotz angekündigten Abgangs nach dieser Saison eine große sein. Sollte bei seinen letzten Auftritten in Kitzbühel oder Wien nicht noch völlig unverhofft ein Coup gelingen, aber auch eine, die sich am Ende in den Niederungen der Tenniswelt verloren hat. Eine unvollendete. Denn ein Anschein wird bleiben: Thiem hat bei seinem zweiten Anlauf längst nicht alles versucht, um wieder zurück in die Weltspitze zu kommen. Oder zumindest in die Top 30 der Rangliste, um als Gesetzter noch einmal bei einem Grand Slam anzugreifen.

»Da ist ein Grand-Slam-Champion, der seit Jahren so gut wie nichts aus seinen Möglichkeiten macht.«

Günter Bresnik

Tennistrainer

Weil er besser als jeder andere gewusst hat, was es dafür braucht: alles dem Sport unterordnen, wieder jede einzelne Sekunde Tennis leben und die Quälerei abseits der glamourösen Centre Courts voll und ganz annehmen.

Er wollte diesen Weg nicht mehr gehen, konnte ihn allein auch nicht mehr beschreiten. Er hat sich in seinem allzu familiären (Trainings-)Umfeld eingerichtet, anstatt sich kompetente Hilfe von außen zu holen. Er hat Hilfsangebote von Profikollegen und wohl auch seines früheren Langzeit-Coaches Günter Bresnik ausgeschlagen – er wollte kein Experiment mehr wagen.

Und statt irgendwie zu versuchen, die offenbar verlorengegangene Liebe zum Spiel wiederzufinden, auch auf kleiner Bühne, etwa diese Woche mit Unterstützung seiner Fans beim Challenger in Mauthausen, besiegelten demütigende und nach wir vor rätselhafte Niederlagen in Zadar oder in Székesfehérvár sein Karriereende. Während weit ältere Profis wie Gaël Monfils noch ihre Leidenschaft ausleben, Tennisfans verzücken und auch Achtungserfolge einfahren, muss sich Thiem nun eingestehen: allein war dieses Comeback nicht zu schaffen.

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