Analyse

Causa Schilling: Viele Facetten, neue Vorwürfe und grundsätzliche Fragen

Die Grünen bei ihrem Wahlkampfauftakt am Dienstag, einige Stunden vor der Veröffentlichung der Vorwürfe. Im Bild Werner Kogler und Lena Schilling.
Die Grünen bei ihrem Wahlkampfauftakt am Dienstag, einige Stunden vor der Veröffentlichung der Vorwürfe. Im Bild Werner Kogler und Lena Schilling. APA/Roland Schlager
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Die Vorwürfe gegen die grüne Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, Lena Schilling, sorgen für eine Menge Aufregung. Das liegt an mehreren Dynamiken, die zusammenkommen. Der Versuch einer Einordnung.

Es ist unruhig in der politmedialen Blase Wiens. Sehr unruhig. Seit Tagen dreht sich alles um einen Artikel des „Standard“ und die darin erwähnten Vorwürfe gegen die grüne Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, die 23-jährige Lena Schilling. Es lägen, so heißt es, Aussagen von mehr als 50 Personen vor, die teilweise sogar eidesstattlich erklärt hätten, von grobem Fehlverhalten der grünen Spitzenkandidatin zu wissen. Namentlich erwähnt ist keine dieser Personen.

In einer Causa liegt allerdings ein gerichtliches Schriftstück vor: Schilling soll behauptet haben, ihre ehemalige gute Freundin, Veronika Bohrn Mena, werde von ihrem Ehemann, Sebastian Bohrn Mena, verprügelt und habe darum ein Kind verloren. Das Ehepaar ist der Öffentlichkeit nicht unbekannt, es betreibt die kapitalismuskritische Stiftung Comun und kommentiert regelmäßig in diversen Bewegtbildformaten das politische Geschehen. Veronika Bohrn Mena selbst sagt, Schilling verbreite die Unwahrheit. In einem gerichtlichen Vergleich mit dem Ehepaar verpflichtete sich Schilling Mitte April dazu, in der Zukunft entsprechende Behauptungen zu unterlassen.

Außerdem berichtete der „Standard“ unter anderem von Belästigungsvorwürfen, die Schilling gegen einen Journalisten erhoben haben soll, die einer Prüfung aber nicht standhielten. Am Donnerstag folgte ein weiterer Bericht, in dem es um jene Belästigungsvorwürfe geht, die Schilling gegen den ehemaligen grünen Abgeordneten Clemens Stammler erhoben haben soll. Diese, so wird Stammler im Bericht zitiert, hätten zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen Stammler und einem Journalisten und das wiederum schließlich zum Rücktritt Stammlers geführt.

Die grüne Klubspitze hatte einen Zusammenhang zwischen Rücktritt und Belästigungsvorwürfen am Mittwoch negiert, am Donnerstag wiederholte das Generalsekretärin Olga Voglauer. Laut Bericht soll Schilling zudem Klubchefin Sigrid Maurer diverse Affären nachgesagt und erzählt haben, sie sei im Vorfeld ihrer Kandidatur von Maurer bedrängt worden. Es ist einer der wenigen Teilbereiche der Berichte, zu denen Schilling selbst explizit Stellung nahm: Sie habe nie behauptet, Maurer habe sie bedrängt, schrieb sie auf „X“. „Ja, ich habe in meinem Leben schon mal Gerüchte über Affären gehört & sie dann ohne groß nachzudenken weitererzählt. Ich bin da kein Stück besser als andere. Ich weiß, dass das nicht g‘scheit war und das tut mir leid. Ich habe es sicher nicht mit böser Absicht getan.“

Man sieht: Seit der Veröffentlichung der Artikel geht, salopp gesagt, die Post ab. Das liegt auch daran, dass anhand der „Causa Schilling“ vieles auf einmal verhandelt wird. Das beginnt bei der Brisanz der Themen, die Gegenstand der von ihr mutmaßlich verbreiteten Behauptungen gewesen sein sollen: häusliche Gewalt und Belästigung von Frauen werden mittlerweile politisch und rechtlich nicht mehr einfach zur Seite gewischt, sondern wiegen schwer. Es geht in der Geschichte aber auch um eine Meta-Ebene und um ganz grundlegende Fragen, wie: Was ist politisch relevant, was ist privat? Was ist Hörensagen, was belegbar? Und: Wie geht man als Öffentlichkeit mit diesen Ambivalenzen um?

Die grüne Parteispitze, die sich in einer Pressekonferenz am Mittwoch mehr als demonstrativ hinter ihre EU-Spitzenkandidatin gestellt hat, führt außerdem ständig ins Treffen, das alles passiere auf diese Art, weil es sich bei Schilling um eine junge Frau handle, die sich traue, laut ihre Standpunkte zu vertreten. Dieser Lesart folgend, gäbe es eine Aufregung in diesem Ausmaß nicht, würde es sich um einen männlichen Politiker handeln.

Zu vielen zu vieles erzählt

Neben den genannten Punkten – den Vorwürfen an sich, den Meta-Debatten und dem grundsätzlich nicht ganz von der Hand zu weisenden Argument der härteren Bewertung junger Frauen – kommen aber noch andere Dynamiken hinzu, die in ihrer Gesamtheit zu der großen Unruhe führen, die die Causa ausgelöst hat. Da geht es allem voran um Lena Schilling selbst. Denn auch wenn man alle Ambivalenzen, alles nicht Belegte, Belegbare oder juristisch (noch) nicht Geklärte außer Acht lässt, bleibt übrig, dass sie Fehler gemacht hat.

Auch die Recherchen der „Presse“ zeigen, dass sie jedenfalls zu vieles, zu Privates oder Brisantes über sich und andere zu vielen Menschen erzählt hat. Ob aus jugendlicher Naivität oder Kalkül, ist eine Frage, die wiederum in das nicht Belegbare führt. Auch, wie viel davon stimmt und wie viel nicht, ist offen. Fest steht: Es gibt eine Menge Menschen, die wütend auf Schilling sind – im privaten wie im beruflichen Kontext.

Wieder eine andere Tangente ist, ob die grüne Parteispitze Fehler gemacht hat, indem sie etwa aus etwas möglicherweise Privatem durch Zahlungen etwas Politisches gemacht hat. Danach sieht es nicht aus. Auf die Frage der „Presse“, ob die Partei in der Vergleichscausa mit der Familie Bohrn Mena Kosten übernommen hat, heißt es: „Die Kosten und Gebühren für die Errichtung des Vergleichs hat Lena Schilling selbst bezahlt. Die Kosten für die Errichtung des Vergleichs betragen für die Parteien jeweils 597,98 (darin enthalten € 99,66 an USt). Die Pauschalgebühren für den Vergleichsabschluss betragen € 435,60. Das sind ausschließlich Gerichtskosten und keine Zahlungen an das Ehepaar Bohrn Mena.“ Was die Grünen allerdings zahlen, sei die „regelmäßige Beratung der Partei“ durch die Anwältin Maria Windhager „bei medienrechtlichen Fragestellungen“. Im Zuge dessen sei auch Schilling Thema gewesen. Dass auf dem Vergleich als Postadresse Schillings die der Partei steht, begründet sie mit dem „Schutz Lena Schillings und dem Schutz ihrer privaten Adresse“. Es sei davon auszugehen gewesen, „dass der Vergleich für Medienarbeit genutzt wird, was im schlimmsten Fall die Veröffentlichung ihrer Privatadresse zur Folge gehabt hätte“.

Geteilte Meinungen

Auch Parteiinterna spielen bei alledem eine Rolle. Eng mit der Person Schillings und ihrer Karriere bei den Grünen verknüpft ist die der in der Partei überaus einflussreichen Klubobfrau Sigrid Maurer. Sie hatte sich stark für eine Kandidatur der politischen Quereinsteigerin eingesetzt, nachdem Klimaministerin Leonore Gewessler dafür nicht zur Verfügung stand. Maurer gegenüber gab es innerhalb der Partei bisher zwar hin und wieder kritische Töne, allerdings nur sehr vereinzelt und leise. Dass der EU-Wahlkampf der Grünen nun rund um Schilling in gröbere Turbulenzen geraten ist, spielt Maurers Kritikern in der Partei nun aber in die Hände. Vor allem rund um die Causa Stammler gibt es dem Vernehmen nach in den grünen Reihen sehr unterschiedliche Bewertungen, was den Umgang der Klubspitze mit der Angelegenheit betrifft.

Letztlich wird die Causa freilich vom politischen Mitbewerb befeuert. Fast alle der handelnden Personen haben einen parteipolitischen Hintergrund, kommen aus dem politiknahen Bereich oder verfügen über beste Verbindungen zur Politik. Zumindest an der Veröffentlichung des Vergleichs mit den Bohrn Menas gab es mehreren Medien gegenüber reges Interesse seitens des politischen Mitbewerbs. Immerhin: Man befindet sich nicht nur im EU-Wahlkampf, sondern im Superwahljahr. Mit dem Abschneiden im Juni werden gewissermaßen die Startpositionen für die Nationalratswahl im Herbst festgelegt.

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