Replik

Dann verschieben wir also den Klimaschutz?

Postwachstum heißt, Wirtschaft anders zu begreifen. Degrowth lädt ein, Selbstverständlichkeiten zu überdenken. Gedanken zum Gastkommentar von Elisabeth Zehetner.

Die Geschäftsführerin des Verbands Oecolution, Elisabeth Zehetner, kritisierte in der Vorwoche an dieser Stelle die Konferenz „Jenseits des Wachstums“ im Nationalrat und die Grünen und SPÖ als Mitveranstalterinnen: Degrowth als „wachstumskritische Ideologie“ ziele „bekanntlich“ darauf ab, „durch wirtschaftliche Schrumpfung u. a. das Klima besser“ schützen zu wollen. Effektiver Klimaschutz brauche starkes Wachstum; von notwendigen jährlichen 4,3 Prozent spricht die Kommentatorin.

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Postwachstum als politisches Projekt bedeutet im Kern, dass die westlichen Gesellschaften aus dem Wachstumszwang aussteigen müssen. Wir benötigen einen gerechten ökologischen Umbau. Dabei kann das Streben nach immer mehr Wachstum nicht wie ein Mantra wiederholt werden. Das machen leider weiterhin auch Wifo und IHS bei ihren Wachstumsprognosen. Degrowth ist eine aufrüttelnde Einladung, Selbstverständlichkeiten zu überdenken.

Raus aus dem Wachtumszwang!

Erstens die ökologische Dimension. Den meisten Studien zufolge findet bisher keine absolute Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Energie- und Rohstoffverbrauch sowie von den Emissionen statt. Daher reichen technologische Innovationen nicht, sondern besonders umweltschädliche Branchen müssen rückgebaut werden: Die fossile Industrie sowieso, aber auch die industrielle Landwirtschaft und die Autoindustrie. Das einseitige Setzen auf E-Autos ist rohstoff- und energiepolitisch ein Holzweg. Wir benötigen den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und einen deutlichen Rückbaus der Autoproduktion und -nutzung, um die Klimaziele zu erreichen und vor allem die Städte lebenswerter zu machen. Und: 4,3 Prozent jährliches Wirtschaftswachstum bedeutet eine Verdoppelung der Wirtschaftsleistung in 17 Jahren. Das ist ökologisch fragwürdig in einem Land, in dem Teile der Bevölkerung deutlich zu viel konsumieren, als aus ökologischen Gründen sinnvoll ist.

Zweitens bedeutet Postwachstum, Wirtschaft anders zu begreifen. Wirtschaftliche Dynamik sollte nicht von Investitionen mit Aussicht auf möglichst hohe Gewinne angetrieben werden – im Jahr 2023 liehen die Banken über 700 Milliarden US-Dollar an fossile Unternehmen. Wirtschaft bedeutet vielmehr, die materiellen Möglichkeiten für ein sozial und ökologisch gutes Leben für alle zu schaffen, ohne dabei den Planeten zu ruinieren. Dafür benötigen wir produktive und kreative Unternehmen, einen gut ausgebauten öffentlichen Sektor, eine starke Sozialwirtschaft. Aber wir benötigen keine Investoren, die um jeden sozialen und ökologischen Preis möglichst hohe Profite erwirtschaften wollen und sollen. Daher raus aus dem Wachstumszwang!

Wachstum für wen?

Drittens: Wachstum für wen? Viele Studien belegen, dass sich Wachstum und Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten zuletzt entkoppelt haben und die Vermögenden immer reicher werden. Es gilt also zu differenzieren, wenn postuliert wird, „wir“ brauchen Wachstum. Die Verteilungsfrage ist aktuell brisant. Der Gegenwind rechter politischer Kräfte gegen den sozial-ökologischen Umbau kommt in Teilen der Bevölkerung auch deshalb an, weil der Umbau bislang als sozial ungerecht empfunden wird. „Wir sollen den Gürtel enger schnallen, und die Wohlhabenden fahren weiterhin SUV und die ganz Reichen haben ihre Privatjets.“

Wichtiger Punkt von Zehetner: Der Staat benötigt zur Finanzierung des ökologischen Umbaus viel Geld. Doch was passiert, wenn die 4,3 Prozent jährliches Wachstum nicht erreicht werden? Dann verschieben wir den Klimaschutz? Klimaschutz muss eben unabhängig vom Wirtschaftswachstum als Aufgabe für Politik, Unternehmen und Bevölkerung begriffen werden. Das geht mit einem anderen, maßvollen Verständnis von Wohlstand einher. Das ist eine große politische Herausforderung. Deshalb finde ich es wichtig, dass Grüne und SPÖ letzte Woche zur Konferenz „Jenseits des Wachstums“ in den Nationalrat miteingeladen haben.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Er war von 2011 bis 2013 sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Kapitalismus am Limit“ (mit Markus Wissen).

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