Großbritannien

Jenny Erpenbeck, die erste deutschsprachige Booker-Prize-Gewinnerin

Die Autorin bei der Verleihung des Preises.
Die Autorin bei der Verleihung des Preises.Imago / Wiktor Szymanowicz
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Die Schriftstellerin erhält den International Booker Prize für die englische Übersetzung ihres Romans „Kairos“. Wer ist die Frau, die im Ausland weitaus begeisterter gelesen wird als in Deutschland?

Wenn es um Jenny Erpenbeck geht, fällt schnell das Wort Familientradition. Kein Wunder, immerhin kommt sie aus einer Familie von Schriftstellern – und betonte das auch, als sie am Dienstagabend in einem hohen Saal der Londoner Tate Modern den International Booker Prize bekam. Einen Preis, ähnlich arriviert wie der Literaturnobelpreis. Er wird für ins Englische übersetzte Werke vergeben, mit Erpenbeck bekommt ihn erstmals eine deutschsprachige Autorin. Und vor allem auch eine, die im Ausland erfolgreicher ist als dort, wo sie herkommt: aus Deutschland.

Ausgezeichnet wird sie für ihrem Roman „Kairos“, benannt nach dem „Gott des glücklichen Augenblicks“, in dem sie vom Ende der DDR und dem Ende einer toxischen Liebe schrieb. Das Buch sei außergewöhnlich, weil es „sowohl schön als auch unangenehm ist, persönlich und politisch“, hieß es von der Jury. Die Autorin lade dazu ein, eine Verbindung herzustellen zwischen politischen Entwicklungen, die Generationen definierten, und einer zerstörerischen, sogar brutalen Liebesaffäre. Erpenbeck ist eine ungemein genaue Erzählerin, oft spiegelt sich bei ihr Geschichte im familiären Alltag. Und ihre Geschichte? 1967 in Ostberlin geboren, war sie 22 Jahre alt, als die Mauer fiel. Hatte bereits eine Ausbildung als Buchbinderin gemacht und ein Studium der Theaterwissenschaften begonnen. Später arbeitete sie als Opern-Regisseurin in Berlin und Graz, dort verbrachte sie sogar fünf Jahre. Sie heiratete einen österreichischen Dirigenten (Wolfgang Bozic) und setzte mit dem literarischen Schreiben die Familientradition fort. Wobei sie schon einmal meinte: „Ich würde sagen: Die Tradition hat mich fortgesetzt.“ Ihre Großeltern väterlicherseits hatten geschrieben, ihr Vater, der Physiker, Philosoph und Schriftsteller John Erpenbeck, und ihre Mutter, die Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin Doris Kilias Erpenbeck. Ihre Eltern waren keine Dissidenten – sie gehörten in der DDR zur geistigen Elite.

Kandidatin für den Nobelpreis?

„Jenny Erpenbeck ist die literarische Stimme Deutschlands in der Welt. Im Ausland gilt sie als kommende Nobelpreisträgerin, in ihrer Heimat nicht. Wie kann das sein?“, fragte kürzlich die „Zeit“. Auch der „Tagesspiegel“ titelt am Mittwoch: „Im Ausland berühmter als in Deutschland?“ über die Autorin, die unaufgeregt erscheint, bescheiden. Und bei der Preisverleihung eine Rede hielt, die tatsächlich unvorbereitet klang. Freilich blieb Erpenbecks atmosphärisch und erzählerisch dichtes Schreiben in Deutschland nicht unbeachtet. Für ihre Werke wurde sie oft ausgezeichnet, bekam unter anderem den Thomas-Mann-Preis, den Uwe-Johnson-Preis, den Hans-Fallada-Preis. Besondere Aufmerksamkeit bekam etwa der Roman „Gehen, ging, gegangen“ (2015), ein Roman über die Flüchtlingskrise.

Doch international wird sie mit größerer Begeisterung rezipiert, gerade was ihren jüngsten Roman „Kairos“ betrifft. Der weder für den Preis der Leipziger Buchmesse noch für den Deutschen Buchpreis auch nur auf der Liste der Nominierten zu finden war – und nun zu einer Einheit bei der Jury des International Booker Prize geführt hat, wie sie selten vorkommt. Die Entscheidung der Juroren sei „absolut einstimmig“ gewesen, sagte die Vorsitzende der Jury. Nicht ohne ihre Überraschung kundzutun. Der „New Yorker“ hatte übrigens bereits 2017 geschrieben, dass er Erpenbeck als kommende Nobelpreisträgerin sehe. In der „Zeit“ meinte diese, sie klage nicht darüber, dass ihre Bücher anderswo euphorischer besprochen werden. Sie sei ja auch in Deutschland anerkannt. Aber an den Spitzen der großen Feuilletons und in den Jurys von Literaturpreisen gebe es wenige Ostdeutsche – und damit weniger Interesse am Thema DDR. Im Ausland allerdings auch, möchte man anfügen.

Besonders geehrt werden beim International Booker Prize die Übersetzer, schließlich gibt es den Preis für die englische Übersetzung. Im Fall von „Kairos“ ist sie von Michael Hofmann: Sie fange die Eloquenz und die Exzentrik von Erpenbecks Schreiben ein, sagt die Jury. (rovi)

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