Replik

Kalifat und Konkordat: Zwei Seiten derselben Medaille?

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Die radikale Trennung von Staat und Religion erscheint nur auf den ersten Blick sinnvoll. Wie etwa auch das Beispiel Frankreich zeigt.

Bezugnehmend auf aktuelle Ereignisse in Deutschland wurde in einem Gastkommentar in dieser Zeitung (10. Mai 2024 von Niko Alm) eine etwas gewagte Verbindung hergestellt: Zwischen den Demonstrationen für ein islamisches Kalifat, die vor Kurzem in Deutschland stattgefunden haben und von offensichtlich strategisch gut aufgestellten Organisationen generalstabsmäßig geplant waren (samt genau geregeltem Umgang mit den erwartbaren staatlichen Reaktionen und den Medien), und der Existenz eines Konkordats zwischen dem österreichischen Staat und der katholischen Kirche gäbe es eine quasi natürliche Beziehung.

Es wäre nämlich, so in diesen Ausführungen, die muslimische Migration nach Europa automatisch mit einer Eingliederung in die Sozialsysteme verbunden, was in Österreich gleichzeitig auch den Zugang zum Religionssystem mit sich bringen würde. Und das sei – leider – von der Privilegierung von Religionen bestimmt, wofür das Konkordat paradigmatisch steht.

Noch keine Kalifatsdemos in Österreich

Abgesehen davon, dass in Österreich bislang – noch und glücklicherweise – keine einschlägigen Kalifatsdemonstrationen stattgefunden haben und der Begriff Kalifat, der in der islamischen Tradition viele Schattierungen hat, inhaltlich mit dem Konkordat rein gar nichts zu tun hat, werfen diese Angaben einige grundsätzliche Themen auf.

Dabei ist die prinzipielle Frage, nämlich die nach dem Umgang mit Religionsgemeinschaften und Kirchen in ihren unterschiedlichen Ausprägungen von staatlicher Seite, eine ganz wichtige. Dass da einiges reformbedürftig ist und auch die Neuregelungen, die seit 1998 in Kraft sind, nur bedingt Lösungen gebracht haben, ist außer Frage.

Nur auf den ersten Blick erscheint aber die Radikallösung wirklich sinnvoll: die laizistisch begründete radikale Trennung von Staat und Religion. Hier gibt ein Land in Europa gerade im Zusammenhang mit dem Umgang mit dem Islam ein Gegenbeispiel, nämlich Frankreich, das sich seit Anfang des 20. Jh.s einer ebensolchen laizistischen Tradition rühmt. Dort funktioniert nämlich gerade der Umgang mit den Muslimen äußerst schlecht. Zweifellos spielt hier die unselige Kolonialvergangenheit des Landes in nordafrikanischen Ländern eine nicht unmaßgebliche Rolle, und auch eine äußerst problematische Wohnpolitik, die zu Ghettoisierungen führt, aber die Spannungslage ist eminent aufgeladen, wie jüngere Ereignisse ebendort erweisen. Wenn Laizismus die Antwort auf das angesprochene Problem wäre, müsste es dort ganz anders aussehen.

Der radikalen Trennung steht die Idee gegenüber, vonseiten des Staates auf die Religionsgemeinschaften zuzugehen und diese unter bestimmten Voraussetzungen zu unterstützen. In Österreich ist das mit dem sehr komplexen System der Anerkennung von Religionen verbunden, die eine lange Vorgeschichte hat und wo es in der Tat viele Baustellen gibt, die mit der Privilegierung einiger Traditionen verbunden ist, über die gesondert zu diskutieren wäre. Prinzipiell hat dieser Zugang aber auch Vorteile: So ergibt sich daraus beispielsweise eine gewisse Kontrollmöglichkeit.

Reflexionsprozess einleiten

Die Tatsache etwa, dass staatlich anerkannte Religionen ihren Unterricht von der öffentlichen Hand finanziert bekommen, gewährt eine inhaltliche Einsicht in die verwendeten Materialien und durch den offiziellen Rahmen der Schulen auch gewisse regulative Möglichkeiten. Ganz abgesehen davon, dass der aktuelle Religionsunterricht weit weg ist von der klischeehaften vermeintlichen Indoktrinierungsveranstaltung, sondern nicht zuletzt auch bei Zusammenspiel der Religionslehrer wichtige Verständigungsarbeit leisten kann – selbstredend mit den üblichen Ausnahmen, die es zu regulieren gibt. Hier könnte auch die bereits erfolgte Institutionalisierung von islamischen Theologien an öffentlichen Universitäten, wie das in Wien geschehen ist, genannt werden. Dieser Vorgang war – nach dem Vorbild der Gründungen islamisch-theologischer Fakultäten und Institute in Deutschland an vielen bedeutenden Universitätsstandorten – mit dem Gedanken verbunden, einen akademischen, die religiöse Tradition befruchtenden Reflexionsprozess einzuleiten.

So kann in diesem Rahmen etwa gerade der zitierte vielschichtige Kalifatsbegriff gründlich analysiert, historisch kontextualisiert und damit auch kritisch dekonstruiert werden. Dass die religiösen Institutionen und Vertretungen mit solchen Zugängen zuweilen ihre liebe Not haben, ist fast natürlich, weil gerade im europäischen Kontext das große Gegenüber der Religionen ja nicht andere Religionen sind, sondern eine immer mehr säkular geprägte Gesellschaft, die die Religionen in ihre Schranken weist. Gerade hier könnten die dementsprechenden akademischen Einrichtungen, die natürlich unabhängig und kritisch aufgestellt sein müssen, wichtige Vorarbeit leisten. Auf diesem Wege ist eine positive Verbindung zwischen Staat, Gesellschaft und Religionen gegeben, die nicht nur negativ und ausschließend begründet ist.

Völlig d’accord muss man aber mit den Angaben des Autors sein, dass es im Zusammenhang mit der islamischen Tradition schwierige Entwicklungen gibt, die von staatlicher Seite im Auge behalten werden müssen. Unter Bezug auf engführende Interpretationen des Islam, der in sich um vieles flexibler ist, als es oft erscheint, und der eine äußerst reiche intellektuelle Reflexionsgeschichte hat, werden zuweilen ganz gezielt Gräben aufgerissen. Und ebendies wird nicht nur von den viel beschworenen sogenannten rechtspopulistischen Parteien zum Zwecke der politischen Instrumentalisierung behauptet, sondern es geht hier tatsächlich um problematische Tendenzen, die auf Basis von Anlassfällen jederzeit aufplatzen können, wie jüngst der Terrorangriff der Hamas auf Israel und dessen Folgen zeigen. Die üblichen Verweise auf Diskriminierung und der unsägliche Bezug auf eine angeblich grassierende „Islamophobie“ sind hier auf keinen Fall als Erklärungen zu akzeptieren.

Schwierige Entwicklungen

Es geht vielmehr auch um ganz zentrale Themen, die allerdings nicht nur den Islam, sondern die meisten der traditionellen Religionen betreffen, etwa die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis zu demokratischen, westlich-liberalen Entwicklungen oder dem Mann/Frau-Verhältnis. Hier haben wohl alle großen religiösen Traditionen immensen Reflexions- und Nachholbedarf.

Die vorgeschlagene „Trennung“ von Religion und Staat in laizistischer Manier erscheint aber nicht als die sinnvolle Gangart, sondern als zu simpel. Dazu ist das Problem zu komplex, zumal man den Faktor Religion nicht einfach aus dem Selbstverständnis der Menschen hinausdividieren kann. Religion und individuelle Religiosität sind und bleiben in sehr unterschiedlicher Weise bedeutende Faktoren für weite Strecken der Gesellschaft. Dafür braucht es Sensibilität, nicht das politische und verfassungsrechtliche Rasiermesser.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor:

(c) Beigestellt.

Franz Winter (* 1971) ist seit 2019 Universitätsprofessor für Religionswissenschaft an der Universität Graz. Seine Forschungsschwerpunkte sind europäische und asiatische Religionsgeschichte (insbes. Buddhismus, Islam und Religionen Japans) und deren Verflechtung in Geschichte und Gegenwart sowie aktuelle religiöse Veränderungsprozesse.

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